Rechtswidrig

Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug vor dem Aus

In Deutschland gilt seit 2007 die Regelung, wonach Nicht-EU-Ehegatten einen Sprachtests im Herkunftsland ablegen müssen, um in die Bundesrepublik einreisen dürfen. Diese Regelung steht vor dem Aus, schreibt Sevim Dağdelen exklusiv im MiGAZIN.

Seit Inkrafttreten des EU-Richtlinienumsetzungsgesetzes im August 2007 kritisiert DIE LINKE., dass der Nachzug von Ehegatten und Lebenspartnern/-partnerinnen aus dem Ausland grundsätzlich vom Nachweis einfacher deutscher Sprachkenntnisse des Niveaus A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER) abhängig ist. Gründe dafür gab und gibt es viele.

Rückgang beim Ehegattennachzug
Seitdem der Nachweis von Deutschkenntnissen im Ausland als Voraussetzung für den Ehegattennachzug verlangt wird, ist die Zahl der erteilten Ehe-Visa weltweit um etwa ein Fünftel zurückgegangen (2010: 31.649 erteilte Visa, 2006: knapp 40.000). Niemand kann leugnen, dass der überdurchschnittliche Rückgang etwa in Bezug auf die Türkei (minus 36 Prozent im Vergleich 2006 – 2010), Nigeria (minus 46 Prozent) oder beispielsweise auch Kuba (minus 60 Prozent) etwas mit den Schwierigkeiten des Deutsch-Spracherwerbs und Nachweises im Ausland zu tun hat. Dies belegen auch die Zahlen dazu, wie viele Personen den Sprachtest im Ausland bestehen – im ersten, zweiten oder auch x-ten Versuch: Ein Drittel aller Test-Teilnehmenden weltweit schaffte 2010 den Test nicht; in Ghana, Äthiopien, Sri Lanka, Irak, Mazedonien war es sogar etwa die Hälfte aller Menschen, die an den Sprachhürden scheiterten und damit weitere Monate oder gar Jahre zwangsweise vom Ehepartner getrennt wurden, weil ihre Deutsch-Kenntnisse vom deutschen Staat als unzureichend erachtet wurden (in Ghana bestanden sogar 62 Prozent den Test nicht). Die schlechten Erfolgsquoten bei Sprachtests im Ausland lassen den Schluss zu, dass die Neuregelung mit einer vielfach unzumutbaren, länger andauernden Zwangstrennung von Eheleuten verbunden ist. Erschwerend kommt hinzu, dass nicht einmal eine allgemeine Härtefallregelung, etwa für Analphabetinnen und Analphabeten, im Gesetz besteht.

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Insgesamt betrachtet wird eines ganz klar: die Neuregelung zielt vor allem auf Menschen aus bildungsfernen und sozial schwachen Schichten ab. Es ging und geht bei der Regelung des Ehegattennachzugs insgesamt um eine soziale Ausgrenzung und Diskriminierung nach Bildungsstand, Herkunft und individueller Sprachfertigkeit. Die deutsche Migrationspolitik war und ist geprägt vom Nützlichkeitsrassismus: Nützliche, Reiche und Schöne sind willkommen, der Rest nicht. Übrigens entspricht die sozial ausgrenzende und diskriminierende Regelung genau dem Sarrazinschen Weltbild. In seinem Machwerk „Deutschland schafft sich ab“ fordert er unter anderem, die Anforderungen des Sprachtestes bei Ehegattennachzug weiter zu erhöhen. Die Einwanderung unqualifizierter Migrantinnen und Migranten könne in dieser Form nicht weitergehen, sagt Sarrazin. Das sieht die Bundesregierung genauso.

Die Verschärfung des Ehegattennachzugs richtet sich insbesondere auch gegen türkische Staatsangehörige. Nicht zuletzt die Rede des damaligen Bundesinnenministers Dr. Wolfgang Schäuble zur Vorstellung des Kabinettsentwurfs im Parlament machte dies deutlich. Als Gesetzesziel nannte er die Verhinderung „arrangierter Ehen“, die bei „jungen Menschen türkischer Abstammung“ „in einer Größenordnung von bis zu 50 Prozent“ vorkämen 1 Belege für diese Behauptung, die der Minister noch einmal wiederholte (vgl. Plenarprotokoll 16/103, S. 10598), konnte die Bundesregierung allerdings nicht nennen und sie kann es auch heute nicht. 2

Regelung zum Ehegattennachzug europarechtswidrig
Ein von mir in Auftrag gegebenes Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages „Anwendungsbereiche und Auswirkungen der Stillhalteklausel im Assoziationsrecht der EU mit der Türkei“ bestätigt die in der Fachwelt mehrheitlich verbreitete Rechtsauffassung, wonach zahlreiche Gesetzesverschärfungen im Aufenthaltsrecht der vergangenen Jahre auf die Hauptbetroffenengruppe nicht anwendbar sind. Denn türkische Staatsangehörige sind durch die so genannten Standstill-Klauseln im EWG-Türkei-Assoziationsrecht vor Verschlechterungen in Bezug auf den Beschäftigungszugang bzw. die Aufenthaltsrechte geschützt. Somit verstoßen z.B. die Sprachanforderungen im Ausland als Bedingung für den Ehegattennachzug gegen verbindliches EU-Recht.

Auch die EU-Kommission hält die strenge deutsche Regelung für unvereinbar mit EU-Recht, und zwar mit der Familienzusammenführungsrichtlinie der EU. Aus einer schriftlichen Erklärung der EU-Kommission vom Mai diesen Jahres an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) geht hervor, dass Integrationsanforderungen und Sprachtests dem Ziel einer erfolgreichen Familienzusammenführung nicht entgegenstehen und auch nicht zu einer Ablehnung der Familienzusammenführung führen dürfen. Nach Auffassung der EU-Kommission ist es aufgrund der Familienzusammenführungsrichtlinie der EU verboten, „dass ein Mitgliedstaat einem Familienmitglied … ausschließlich aus dem Grund die Einreise und den Aufenthalt verweigert“, weil eine „vorgeschriebene Eingliederungsprüfung im Ausland nicht bestanden“ wurde. Berücksichtigt werden müssten die Richtlinienziele einer Begünstigung der Familienzusammenführung und einer Angleichung des Rechtstatus rechtmäßig in der EU lebender Drittstaatenangehöriger an den Unionsbürgerstatus, genauso wie die Grundrechte-Bestimmungen zum Schutz der Familie und des Kindeswohls und die Verpflichtung zu einzelfallbezogenem und verhältnismäßigem staatlichen Handeln. All dies ist mit der deutschen Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug, die nicht einmal eine allgemeine Härtefallregelung vorsieht, unvereinbar.

Die Kommission stützt sich auch auf den klaren Wortlaut und die Systematik der Richtlinie, die zwar Integrationsmaßnahmen zur Förderung der Familienzusammenführung erlaubt. Diese dürfen jedoch nicht, so wörtlich, als „Ausschlusskriterium“ oder „Einreisebedingung“ fungieren und nicht zur Ablehnung des Familiennachzugs führen – wie es bei der deutschen Regelung der Fall ist. „Wenn beispielsweise ein Minimum an Sprachkenntnissen bzw. soziokulturellem Wissen verlangt wird, dann muss es dem Ausländer vom Mitgliedstaat auch effektiv ermöglicht werden, sich diese Fähigkeiten aneignen zu können“, erklärt die Kommission. Frankreich etwa bietet im Ausland kostenlose Sprachkurse an und macht die Einreiseerlaubnis nicht von einem bestimmten Sprachniveau abhängig. Die deutsche Regelung aber überantwortet die Verpflichtung zum Spracherwerb ausschließlich den Betroffenen, egal wie kostenintensiv, zeitaufwändig, möglich oder unmöglich dies im Einzelfall ist.

Regelung vor dem Aus
Die klaren Ausführungen der EU-Kommission sind brisant. Denn damit steht ein zentrales Vorhaben der jetzigen wie auch der vorherigen Bundesregierung kurz vor dem Scheitern. Die Ausführungen der EU-Kommission widersprechen eindeutig den Behauptungen der Bundesregierung, die Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug stünde im Einklang mit EU-Recht. Die Stellungnahme stellt aber auch das Bundesverwaltungsgericht bloß, das in einem Grundsatzurteil vom 30. März 2010 behauptet hatte, es gäbe keinerlei Zweifel an der Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit EU-Recht – und sich dabei auf einen Bericht der EU-Kommission zur Anwendung der Familienzusammenführungsrichtlinie in den Mitgliedstaaten berief. Dieses Urteil ist in der Fachwelt auf erhebliche Kritik gestoßen, unter anderem, weil der besagte Kommissions-Bericht vom Bundesverwaltungsgericht verkürzt wiedergegeben und unzulässig interpretiert worden war – dies steht nunmehr fest.

Die Bundesregierung muss jetzt handeln und die Regelung mit Europarecht in Einklang bringen – das kann nur heißen, die Regelung in der jetzigen Form zurückzunehmen. Dies entspräche auch den Erkenntnissen einer Sachverständigen-Anhörung im Deutschen Bundestag vom Juni 2011. Die Bundesregierung kann sich auch nicht damit rausreden, dass der Europäische Gerichtshof in dem Fall, in dem sich die EU-Kommission geäußert hat, nicht mehr entscheiden musste, weil sich das Verfahren aus anderen Gründen erledigt hatte. Ebenso wenig relevant ist, dass es um Vorlagefragen eines niederländischen Gerichts ging. Denn: Die Ausführungen der EU-Kommission sind grundsätzlicher Natur und lassen sich ohne jeden Zweifel auf die deutsche Regelung übertragen.

Auf meine schriftliche Frage nach den Konsequenzen aus der Stellungnahme der EU-Kommission behauptete die Bundesregierung vorgestern, die Auffassung der EU-Kommission sei für das Bundesverwaltungsgericht kein „tragender Grund“ für seine Grundsatzentscheidung gewesen, weshalb man weiterhin von einer Vereinbarkeit mit EU-Recht ausgehe. Das ist unzutreffend: Der Bundesverwaltungsrichter Harald Döring hatte im Rahmen der Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 2011 die Entstehungsgeschichte des in der Fachwelt scharf kritisierten Urteils zum Ehegattennachzug erläutert. Dabei erklärte er öffentlich, das „I-Tüpfelchen“ bei der Entscheidung, den EuGH nicht anzurufen, sei ein Bericht der EU-Kommission gewesen, in dem Regelungen zu Sprachanforderungen angeblich grundsätzlich gebilligt worden seien. Diese Interpretation des Kommissionsberichts war schon damals höchst fragwürdig, heute steht aber fest, dass sich das Bundesverwaltungsgericht nicht auf die Kommission als vermeintlichen Kronzeugen berufen kann und die deutsche Regelung zwingend dem EuGH zur Prüfung vorgelegt werden muss!

Pure Heuchelei
Auf türkische Staatsangehörige ist sie, wie dargelegt, wegen des Verstoßes gegen die so genannten Standstill-Klauseln im EWG-Türkei-Assoziationsrecht ohnehin nicht anwendbar – auch wenn die Bundesregierung auch dies noch zu leugnen versucht. Dass die Tage der Regelung der Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug bereits gezählt sind, wird sich spätestens dann erweisen, wenn der EuGH in absehbarer Zeit auf die entsprechende Vorlagefrage des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg festgestellt haben wird, dass türkische Staatsangehörige nicht nur – wie es bereits jetzt der Fall ist – zur Erbringung, sondern auch zur Inanspruchnahme von Dienstleistungen visumfrei nach Deutschland einreisen dürfen. Denn dann ist der Besuch eines Sprachkurses in Deutschland ohne jede Visumhürde möglich, und die Betroffenen werden in der Praxis zeigen, dass es schlicht unsinnig ist, den Deutsch-Spracherwerb ins Ausland zu verlegen.

Es ist pure Heuchelei, wenn die Bundesregierung von Migrantinnen und Migranten ständig die Beachtung der Rechtsordnung einfordert, selbst aber europäisches Recht aus politischem Kalkül immer dann bewusst missachtet, wenn es mal zugunsten der Migrantinnen und Migranten ausfällt. Ich fordere die Bundesregierung dazu auf, nicht darauf zu warten, dass der Europäische Gerichtshof die deutsche Regelung für europarechts- und menschenrechtswidrig erklärt. Die Sprachanforderungen beim Ehegattennachzug müssen schnellstmöglich zurückgenommen werden. Dies fordert DIE LINKE. auch in einem parlamentarischen Antrag. 3

  1. vgl. Plenarprotokoll 16/90, S. 9065
  2. vgl. Bundestagsdrucksache 16/12979, Antwort zu Frage 18c
  3. Bundestagsdrucksache 17/1577