Sprichwörter

Hurra, wir differenzieren!

„Differenzierung verbindet, Egalität spaltet.“ Dieser im ersten Moment widersprüchlich daherkommende Zitat von Leon Tsvasman, ein deutsch-russischer Literat, beschreibt nichts anderes, als das, was in Norwegen geschehen ist.

Von Montag, 01.08.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 04.08.2011, 9:02 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

Was der Mörder von Marwa El-Sherbini im Dresdener Landgericht und der Brandleger in zahlreichen Moscheen nicht geschafft haben, hat Anders Behring Breivik mit seinem Bombenanschlag in Oslo und seinem Massaker im norwegischen Insel Utoya bewirkt. Er hat den hiesigen Medien die seit Jahren nicht mehr praktizierte Differenzierung in Erinnerung gerufen.

Der Täter hatte sich diesmal nicht die „Anderen“, sondern die „Eigenen“ als Opfer ausgesucht. Also musste er ein islamistischer Terrorist sein und die mutmaßlichen Drahtzieher dunkelbärtige, grimmig daherschauende Araber. So jedenfalls die Bebilderung der Nachrichten der ersten Stunden nach dem Anschlag. Als bekannt wurde, dass der Täter Breivik heißt und den Musterschwiegersohn vieler Schwiegermütter abgeben könnte, dämmert es den Medienmachern. Da saß man aber schon längst selbst in der Schublade, aus der man sonst „die Anderen“ zieht.

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Im Gegensatz zum Dresdener Landgerichtsfall oder den Brandanschlägen auf Moscheen war man diesmal gezwungen, in den Spiegel zu schauen und sich damit auseinanderzusetzen. Und zwar differenziert. Sonst hätte man folgerichtig auch über den christlich-fundamentalistischen Terrorismus schreiben müssen. Das aber konnte und durfte es – richtigerweise – nicht sein. Es war „nur“ die Tat eines Einzeltäters, dessen geistige Nahrung die Islamkritiker herstellten.

Hurra!
Der All-Inklusive-Pauschalisierer der Nation, Henryk M. Broder, bestreitet das in einem Interview freilich, kann aber nicht überzeugen. In seiner Not – denn diesmal geht es um ihn – wird er „kleinlich“ und fängt ebenfalls zu differenzieren an. Hurra! Untypisch für ihn, redet er von komplexen Zusammenhängen – hurra!, fehlenden Belegen – hurra!, einem Sündenbock – hurra! – und falschen Analogien – hurra! Unterm Strich hoffe er aber trotzdem nicht, dass ein Sensor in seinem Kopf ihn künftig über seine Wortwahl mahnt, wenn er über die „Islamisierung Europas“ schreibt.

Schon mit einem Funken an Gewissen wird dieser Sensor aber mahnen und er und seinesgleichen werden hören. Denn die Frage ist nicht, ob Breivik die Tat auch ohne den Output der Islamkritiker begangen hätte. Da wären wir schon am Ende der Kausalkette. Vorher muss eine andere Frage beantwortet werden: Woher hat der Täter sein gestörtes Weltbild, die Saat der Tat? Die Antwort steht im Manifest, den der Täter zusammengestellt und verbreitet hat.

Natürlich hätten Worte Konsequenzen, sagt Broder in seinem Interview weiter. Das wisse man aber immer erst retrospektiv. Eloquent und rhetorisch gekonnt – so wie er ist – wirft er daher die Frage in den Raum: „Soll man deshalb gar nichts sagen – damit man auf keinen Fall missverstanden wird?“ Nein, natürlich nicht. Darum geht es aber auch nicht. Denn auch das ist die falsche Frage. Die Richtige fragt nicht nach dem „Ob“, sondern nach dem „Wie“. Und hier lautet die richtige Antwort: differenziert, genauso, als ginge es um die eigene Haut.
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  1. Zeitzeuge sagt:

    Die Meinung die hier im Migazin transportiert werden soll ist doch immer schon vorher klar !

    Bei “ PI News “ ist das natürlich nicht anders !!

    Im Fall von Breivik habe ich sogar den Eindruck das das vielen nicht ungelegen kommt darauf hinzuweisen das solch extreme Attentate auch von Christen wenn auch einen einzelnen begangen werden . Als Muslim darf man sich jetzt umsomehr als vermeintliches Opfer und sich vor Kritik sicher fühlen !
    Jeder nimmt nur das zur Kenntnis was in sein Weltbild paßt.

    Wenn hier wirklich ergebnisoffen dikutiert werden würde müßten eigentlich Autoren u. Publizisten wie Henryk M. Broder ,Necla Kelek, Seran Ates,Hamed Abdel Samad ,Thilo Sarrazin,Ayaan Hirsi Ali ,Güner Balci u.a. hier zu Wort kommen!
    Denke aber das ist nicht beabsichtigt !
    Die Konsequenz aus den Attentaten von Norwegen kann jedenfalls nicht sein das keine Kritik am muslimischen Leben in Deutschland mehr erlaubt ist !

  2. BiKer sagt:

    dong dong dong! da oben steht doch, dass es nicht auf den ob sondern auf das wie ankommt. und broder und co haben ihre medien woanders. lesen sie welt online. hier bin ich froh, andere stimmen lesen zu koennen.

  3. Herbert G. sagt:

    Leider, leider werden immer wieder im Namen aller Religionen Terrorangriffe oder böse Dinge durchgeführt. Wir Gläubigen müssen uns dagegen wehren und Zusammenhalten und gegen diese Rechtspopulisten vorgehen!

  4. MoBo sagt:

    Den folgenden Beitrag von der österreichischen Zeitung „Der Standard“ fand ich zu diesem Thema schön:
    http://www.youtube.com/watch?v=4dEEYeXlFFk

  5. Snillisme sagt:

    @ Herbert G
    Leider, leider wurde jetzt im Namen des Rechtspopulismus ein Terrorangriff und böse Dinge durchgeführt. Wir , die wir auf den Rechtsstaat vertrauen, müssen uns dagegen wehren und gegen diese Religiösen vorgehen.

    Fällt Ihnen was auf?

  6. Herbert G. sagt:

    Herr Snillisme, teilen SIE etwa das Gedankengut des Attentäters? Der Attentäter war WIE ALLE Attentäter kein wahrer Gläubiger, er war ein Rechtspopulist wie Sie! Wahre Moslems, Christen oder Juden begehen keine Attentate und Terroranschläge.

  7. Cengiz Kaan sagt:

    Herr Senol,

    was für Ihre Kommentare spricht ist die Anzahl der Kommentare. Sie schreiben so wasserdicht, dass es hier – trotz Broder – so ruhig und kritiklos zugeht :) Was soll man der Wahrheit auch erwidern? :) So wenige Kommentare zu haben bei diesem Thema ist wohl eine Kunst, die nicht viele beherrschen. Ihre Art, den Spiegel vorzuhalten, ist ein Genuss. Weiter So!