Fehlstart in der Türkei

Das neue türkische Parlament – eine tragische Farce

Die pro-kurdische Partei BDP weigert sich seit fünf Wochen, den Parlamentseid abzulegen. Unterdessen eskalierte die Gewalt im Osten des Landes. So starben am vergangenen Donnerstag bei einem Anschlag der PKK 13 türkische Soldaten.

Von Montag, 18.07.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Donnerstag, 21.07.2011, 1:46 Uhr Lesedauer: 3 Minuten  |  

Fünf Wochen sind seit den Parlamentswahlen in der Türkei vergangen – doch das neue Parlament hat sich noch nicht richtig zusammenfinden können. Dies liegt in erster Linie an dem Boykott der BDP-Abgeordneten, die sich weiterhin weigern, ihren Parlamentseid abzulegen.

Kein Parlamentseid
Grund dafür ist die Tatsache, dass sechs der aus der Untersuchungshaft heraus per Direktmandat gewählten Abgeordneten inhaftiert bleiben müssen. Der Versuch der Regierungspartei AKP, die restlichen Abgeordneten zum Parlamentseid in Ankara zu bewegen, schlug am Donnerstag in Diyarbakır fehl – Stunden später kam es zu folgenschweren Gefechten zwischen der PKK und dem türkischen Militär, bei dem 13 türkischen Soldaten und mehrere PKK-Terroristen ums Leben kamen.

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Die BDP, die mit 35 Abgeordneten einen wichtigen Teil der Opposition darstellt, manövriert sich derweil mit ihrer Haltung und Nähe zur Terrororganisation PKK ins politische Abseits. BDP-Chef Selahattin Demirtaş hat in seiner Stellungnahme zu den Gefechten am Donnerstag nicht die PKK verurteilt, sondern die Politik der Schuld bezichtigt. Damit sorgt er quasi im Alleingang dafür, dass die BDP nicht nur als politischer Arm der PKK wahrgenommen wird, sondern auch dafür, dass eine politische Kooperation innerhalb der Oppositionsparteien nicht zustande kommt.

Neue Verfassung
Dabei steht die Türkei in der Kurdenfrage vor einer wichtigen Entscheidung: die AKP hat eine neue Verfassung als oberste Priorität definiert – und alle politischen Parteien innerhalb des Parlaments dazu aufgerufen, gemeinsam diese Verfassung zu erarbeiten. Dies ist der Wählerauftrag – doch die BDP geht ihrem Wählerauftrag nicht nach, wenn sie sich weigert, am parlamentarischen Prozess teilzunehmen. Eher sollte sie ihre Stimme geschlossen erheben und bei der Identitätsfrage innerhalb der Verfassung klar Stellung beziehen, damit der Status der Kurden konstitutionell verankert wird.

Machtpoker der BDP
Die BDP ist sich unterdessen ihrer Macht sehr wohl bewusst. Sie weiß, dass die AKP in der Kurdenproblematik auf die Zustimmung der BDP angewiesen ist. Ohne diese Zustimmung würde die AKP Gefahr laufen, dass die kurdische Bevölkerung die Politik Erdoğans nicht mehr unterstützt, da sie türkische Direktoriumsängste bestätigt sehen würde. Doch die BDP sollte auch wissen, dass die Geduld der Bevölkerung ihre Grenzen hat, die nach den jüngsten Konfrontationen bald erreicht sein dürfte.

Jede Missachtung der parlamentarischen Funktion dürfte schließlich auch zu einer Diskreditierung der eigenen Legitimation führen. Und jede Linie, die die BDP mit der PKK direkt in Verbindung bringt, sorgt selbst beim moderaten Teil der Bevölkerung für unbehagliches Zweifeln bezüglich der Demokratiehaltung – von den Hardlinern innerhalb der türkischen Gesellschaft mal abgesehen, die jegliche kurdisch-demokratische Anstrengungen als Landesverrat ansehen und Feuer mit Feuer bekämpft sehen wollen.

Die Geschichte wiederholt sich
Die BDP täte gut daran, sich ihrer demokratischen Aufgabe besinnen und nach Ankara zurückkehren. Sie sollte ihren Vertrauensvorschuss als legitim gewählte Vertreter der Kurden nicht in der Art aufs Spiel setzen, in dem sie Anschläge mit tödlichen Folgen relativiert. Darüber hinaus sollte das türkische Parlament so schnell wie möglich damit anfangen, eine Verfassung zu erarbeiten, die den Hardlinern auf beiden Seiten das Wasser abgräbt.

Dass dieser Prozess erneut von Anschlägen überschattet sein wird, ist leider schon ein ehernes Gesetz. Denn die Geschichte wiederholt sich! Dieser Satz stimmt im Hinblick auf die Kurdenproblematik: Immer, wenn eine Lösung der Kurdenfrage möglich scheint, kommt es zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem Militär. Aktuell Ausland

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