Leos Wochenrückblick

Was ist Deutsch?

Leos Rückblick auf die vergangene Woche: Rassistisch und kulturell definiert. Mosaiksteinchen eines neuen Deutschlandbildes. Das Justizsystem - ein deutscher Pluspunkt.

Von Leo Brux Montag, 20.06.2011, 8:22 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 22.06.2011, 1:48 Uhr Lesedauer: 7 Minuten  |  

Wer ist Deutscher? Die Burschenschafts-Version
Die ZEIT fasst zusammen:

Der Satz könnte aus dem Jahr 1935 stammen: „Besonders in Zeiten fortschreitender Überfremdung ist es nicht hinnehmbar, dass Menschen, welche nicht von deutschem Stamme sind, in die Deutsche Burschenschaft aufgenommen werden.“ Er steht jedoch in einem Antrag, der am Freitag auf dem Burschentag in Eisenach beschlossen werden soll. Der Burschentag ist das jährliche Treffen der in der Deutschen Burschenschaft (DB) zusammengeschlossenen Studentenverbindungen.

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Die Alte Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn will mit ihrem Antrag, der ZEIT ONLINE vorliegt, den Ausschluss der Burschenschaft Hansea Mannheim erreichen. Deren Vergehen: Sie hat ein „chinesischstämmiges“ Mitglied aufgenommen. Wohlgemerkt: keinen Chinesen. Dass nur deutsche Männer Mitglied sein können, ist ohnehin Konsens unter den 120 DB-Verbindungen, denen insgesamt rund 1.300 Studenten und mehr als 10.000 Alte Herren angehören. Laut Spiegel Online ist der junge Mann in Mannheim geboren, hat in der Bundeswehr gedient und die von seiner Verbindung vorgeschriebenen Fechtmensuren geschlagen. …

Doch den Raczeks zu Bonn reicht nicht, „dass der genannte Verbandsbruder sich subjektiv dem deutschen Volke zugehörig fühlt“. Sie nehmen Anstoß am Äußeren des jungen Mannes: Menschen mit „nichteuropäischer Gesichts- und Körpermorphologie“ gehörten offensichtlich „zu einer außereuropäischen populationsgenetischen Gruppierung“, seien damit nicht „deutscher Abstammung“und könnten ergo kein Mitglied einer DB-Verbindung sein.

Entwarnung! Die Raczeks haben den Antrag zurückgezogen.

Trotzdem, der Fall ist interessant – und lässt ein wenig tiefer blicken, was diejenigen, die das angeblich Deutsche so hochhalten, gern darunter verstehen.

Artikel 9 der Verfassung der Burschenschaften lautet:

„Die Burschenschaft bekennt sich zum deutschen Vaterland als der geistig-kulturellen Heimat des deutschen Volkes. Unter dem Volk versteht sie die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum und gleiche Sprache verbunden ist.“

Damit man das nicht zu großzügig auslegt, hat der Rechtsausschuss der DB klargelegt, dass es um die Abstammung von Angehörigen des deutschen Volkes geht. Personen mit außereuropäischen Vorfahren seien keine Angehörigen des deutschen Volkes – auch dann nicht, wenn sie in Deutschland geboren und aufgewachsen sind und deutsche Staatsbürger sind.

Nicht alle der 120 Verbindungen im Dachverband DB teilen eine solche biologistische Auslegung. Viele ziehen den „kulturellen Vaterlandsbegriff“ vor.

Felix Lee fragt sich in der taz, wie sie unter einem Dach mit Rassisten und Rechtsextremen bleiben können:

Die Forderung einer Bonner Burschenschaft, auf dem diesjährigen Burschentag die Hansea auszuschließen, weil ihr derzeitiger Vorsitzender seiner Abstammung nach Chinese ist, zeigt, wie rückwärtsgewandt, ja rassistisch einige Teile dieser Burschenschaften nach wie vor sind.

Die Mannheimer Hansea kann sich als noch so „liberal“ bezeichnen. So lange sie Teil des Verbands Deutscher Burschenschaften bleibt, unter dessen Dach sich auch besonders rechte Verbindungen wie die Münchner Danubia oder die Germania aus Hamburg tummeln, werden auch moderate Verbindungen den Ruch nicht los, mit Reaktionären zu sympathisieren.

Spiegel Online hat Andrea Kurth interviewt, eine Expertin in Fragen Rechtsextremismus:

SPIEGEL ONLINE: Muss man gleich die Nazi-Keule herausholen? Das Abstammungsprinzip galt schließlich bis zum Jahr 2000 auch in der Bundesrepublik – bis die Verfassung unter Rot-Grün für das neue Staatsbürgerschaftsrecht geändert wurde.

Kurth: So argumentieren auch die rechten Burschen, und es ist eine ebenso perfide wie falsche Argumentation: Die Abstammung war eben auch vor dem Jahr 2000 nicht das ausschließliche Kriterium dafür, Deutscher werden zu dürfen. Dieser Weg stand prinzipiell allen offen, die sich über einen längeren Zeitraum legal in Deutschland aufhielten – und viele haben auch davon Gebrauch gemacht.

SPIEGEL ONLINE: Sie sagen, die Deutsche Burschenschaft war immer zerstritten. Wo verlaufen die Konfliktlinien?

Kurth: Die Liberal-Konservativen bejahen die europäische Einigung und definieren das Deutsche kulturell und nicht rassisch. Die Rechtsextremen pochen auf eine völkische, also rassistische Definition und hängen immer noch den großdeutschen Träumen der politischen Rechten in der Weimarer Republik an. Sie sind seit dem fatalen Kompromiss mit den Liberal-Konservativen im Jahr 1971 immer mächtiger geworden, inzwischen besetzen sie alle Schlüsselpositionen des Verbands und setzen ihre Anträge auf den Burschentagen quasi ausnahmslos durch.

Was ist Deutsch? – Ein paar Mosaiksteinchen
zufällig in dieser Woche zusammengelesen.

Der Westen schreibt über zwei erfolgreich integrierte Türkischstämmige, die wieder in die Türkei zurückgekehrt sind, um nun auch dort erfolgreich zu arbeiten:

Mutlu Sahin besitzt übrigens die deutsche Staatsbürgerschaft, darf aber mit einer Blue Card in der Türkei alles außer wählen. Seine Firmen-Philosophie ist deutsch geprägt: „Wenn ich sage, dass wir die Dämmplatten um 14 Uhr liefern, dann sind die auch spätestens um 14.15 Uhr da. Das ist bei unserer türkischen Konkurrenz nicht so.“

Es ist also eine bestimmte Art der Verbindlichkeit. Ja ist ja, nein ist nein. 14 Uhr ist 14 Uhr. Und dergleichen. Da ist kein Ja, das eigentlich ein Nein meint oder verdeckt, und Angaben sollen ebenso verlässlich sein wie Ankündigungen und Versprechungen. Das hat was Deutsches, und man merkt es, wenn man als Deutscher in den USA, Brasilien oder der Türkei lebt.

Ein weiterer Vorschlag im selben Artikel. Die Rede ist von einer Geschäftsfrau.

Mit ihrer unverblümten Art stößt sie allerdings in Istanbul auch auf Unverständnis. Zum Beispiel, wenn das Gespräch auf die politische Situation im Land kommt. „Die türkischen Kollegen ermahnen mich häufig, nicht ganz so offen Kritik zu üben.“

Ich kann als Deutscher offen Autoritäten kritisieren. Ich kann vor Fremden sagen, mein Vater würde sich leider in diesem oder jenem Punkte irren. Zum Beispiel. Darin steckt kein Affront. Es gibt viele Kulturen, in denen wäre es ein Affront. Aus der Offenheit für Kritik am eigenen Vater folgt gesellschaftlich die Freiheit, generell Autoritäten zu kritisieren, auch etwa den Führer einer Partei, mit der man selber sympathisiert – sogar die eigene Religion.

Ein drittes Beispiel, diesmal aus den Nürnberger Nachrichten:

Die Dönerkultur ist eine typisch deutsche Kultur! In der Türkei isst man den Döner anders.
Ein Döner, im Vorbeigehen aus der Hand gegessen? In ihrer Heimat wäre das undenkbar, sagt Sert. „Bei uns darf man höchstens eine Sesambreze aus der Hand essen. Doch dazu braucht man sofort einen Tee, deshalb sucht man sich dann auch wieder einen Platz.“ Die Döner-Kultur sei typisch deutsch, „das kann man in der Türkei gar nicht erfolgreich einführen“. Sich Zeit zu nehmen für eine ordentliche Mahlzeit, das sei auch während eines stressigen Arbeitstages wichtig. „Ein hungriger Bär tanzt nicht“, sagt das dazu passende Sprichwort.

Noch ein viertes Mosaiksteinchen:

In Berlin kann man grade eine Ausstellung zum Thema Frauenfußball besuchen. Der Artikel im Tagespiegel beschäftigt sich auch mit der Frauenmannschaft von Türkiyemspor:

Sie sprechen Türkisch, Arabisch und Deutsch durcheinander, auch wenn der Trainer Murat Dogan versucht, Deutsch als Hauptsprache durchzusetzen. Mal sind die Väter dagegen, dass ihre Töchter Fußball spielen, dann sind sie stolz. Wenn sie gefragt werden, für wen sie in der Nationalmannschaft spielen würden, sagen die Spielerinnen „Deutschland“, auch wenn die Familie sich vielleicht noch „Türkei“ wünschen würde. Und überhaupt sagt eine Spielerin selbstbewusst: „Türkiyemspor ist wie das neue Deutschland, alles durcheinander, alles bunt gemischt. Und alle sind wir Deutsche.“

… Die Fußballerinnen in Berlin wie in Ramallah tragen Kopftuch, oder sie tragen keins, ganz wie sie wollen und wie sie sich entscheiden. Und im Stadion in Kairo, im türkischen Samsun oder in Al Ram im Westjordanland jubeln männliche und weibliche Fans gleichermaßen ihrem Team zu.

Egal auf welchem Standpunkt Sie stehen: Tun Sie sich den Gefallen und sammeln Sie weitere Mosaiksteinchen. Sie können draußen vor der Tür und in unseren Medien jede Woche welche finden, aus denen das heutige Deutschland und Deutschsein besteht – Traditionelles und Neues. So FINDEN Sie das aktuelle Deutschland – und Patriot ist, wer sein Land liebt, wie es tatsächlich ist.

Auch das ist Deutschland!
Zur Belohnung nenne ich Ihnen einen Grund, ganz besonders stolz auf Deutschland zu sein. Das Lob vermitteln die ZEIT bzw. Bill Gates und seine Stiftung „World Justice Project“. Sie untersucht die Rechtsstandards in 66 Ländern, die Justizsysteme und Regierungen und fragt, wie rechtsstaatlich es zugeht.

Deutschland hat eines der besten zivilen Justizsysteme der Welt, nach Norwegen und Schweden. (Weit abgeschlagen: die USA.)

Grund seien vergleichsweise günstige Kosten für Anwälte, die Zugangsmöglichkeiten der Bürger zu Gerichten und deren Effizienz sowie das Fehlen unzulässiger Einflussnahme von außen, hießt es im «Rechtsstaat-Index 2011». Das Verantwortungsbewusstsein der Regierung stuft die Studie als stark ein, Korruption sei in Deutschland minimal. Allerdings bemängelt der Report Fälle von Diskriminierung von Ausländern durch die Polizei.

«Der Rechtsstaat ist ein Eckpfeiler bei der Verbesserung der öffentliche Gesundheit, der politischen Teilhabe, öffentlicher Sicherheit soweit beim Kampf gegen Armut», erklärte WJP-Gründer William Neukom. «Rechtsstaatliche Verhältnisse sicherzustellen ist eine ständige Herausforderung und ein unvollständiges Projekt in allen Ländern», meinte Exekutivdirektor Hongxia Liu.

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