Kinderfragen

Achtung! Stolperstein Kopftuch.

„Ich hatte die Wahl zwischen Jurist oder Kindergärtnerin. Dann ist mir aber bewusst geworden, dass ich auf Ämtern genug Kinderfragen beantworten muss.“ – Eine Anekdote aus dem Alltag einer muslimischen Studentin.

Wer kennt das nicht. Man sitzt in der U-Bahn und schaut sich um. Versucht jedem Gesicht ein Charakter, ein Hobby, eine Nationalität oder eine Religion zu zuordnen. Oder wenn man beim Arzt sitzt und sich die andern Patienten anschaut. Wer ordnet denen kein gesundheitliches Problem zu? Es liegt in der Natur des Menschen, sich über alles und jeden ein Urteil zu bilden. Egal welcher ethnischen Gruppe sie angehören. Deutsche sind Kartoffeln, Türken werden unterteilt in Ayşe´s und Ali´s und die Araber vermählen ihre Töchter generell nur, wenn sie im Gegenzug Kamele bekommen.

Das sind Vorurteile, die über einen gewissen Anteil Ironie verfügen und über die man schmunzeln kann. Es sind Klischees ohne den kleinsten Anteil an Wahrheit. Denn Ali und Ayşe sind schon lange keine gängigen Namen mehr bei den Türken. Araber „verkaufen“ ihre Töchter nicht. Und mir persönlich ist noch keine Kartoffel mit Armen, einer Nase und zwei Augen entgegen gelaufen. Es gibt aber auch Aussagen, die mich als Türkin mit Migrationshintergrund stutzig machen.

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Dazu gehört zum Beispiel ein Erlebnis beim BAföG-Amt, mit dem meine Freundin neulich konfrontiert wurde. Vorab muss gesagt werden, dass sie ein Kopftuch trägt. Um gewisse Vorurteile oder schlechte Klischees vorzubeugen: Nein, ihre Eltern haben sie nicht dazu gezwungen. Sie hat sich nach einem gewissen Alter selbst dafür entschieden.

Sie saß ihrer zuständigen Sachbearbeiterin gegenüber. Selbstverständlich folgte die Frage nach ihrem Studiengang. „Jura“, sagte sie wahrheitsgemäß. Es folgte ein prüfender Blick der Sachbearbeiterin über den Brillenrand. Der Scan dauerte höchstens fünf Sekunden an, löste bei meiner Freundin aber zwiespältige Gefühle aus. Sie hatte das Gefühl, sich für ihre Studienwahl rechtfertigen zu müssen. So kam es dann auch: „Soso. Wieso ausgerechnet Jura?“, fragt die Sachbearbeiterin. Das Gefühl, sich rechtfertigen zu müssen drängte sich bei meiner Freundin in den Hintergrund und die Wut ergriff überhand: „Ich hatte die Wahl zwischen Jurist oder Kindergärtnerin. Dann ist mir aber bewusst geworden, dass ich auf Ämtern genug Kinderfragen beantworten muss.“

Die BAföG-Beamtin schluckte schwer, rückte ihre Brille zurecht wand sich dann wieder ihren Unterlagen zu und murmelte: „Ich mein ja nur, weil ich noch nie im Gerichtssaal eine Anwältin mit Kopfbedeckung gesehen habe.“

„Das Arbeitsleben hat viel mehr zu bieten, als das was sie aus dem Fernsehen kennen!“, schoss es aus meiner Freundin heraus und sie fügte hinzu „übrigens, mein Kopftuch verhindert, dass mein Wissen mir aus den Ohren herausquillt und davon rennt!“