Hamburg

Immer mehr Migranten machen Ausbildung in der Verwaltung

Migranten als Polizisten, Lehrer oder Verwaltungsangestellte: Menschen aus Zuwandererfamilien sind im öffentlichen Dienst immer stärker gefragt. In Hamburg werben Feuerwehr, Polizei und Behörden verstärkt um junge Menschen mit Migrationshintergrund.

Hamburg ist eine weltoffene Stadt, ein Tor zur Welt. Mehr als jeder vierte Einwohner hat hier einen Migrationshintergrund. Bei Kindern und Jugendlichen ist es sogar fast jeder Zweite. Diese kulturelle Vielfalt soll sich auch im öffentlichen Dienst, bei Polizei, Feuerwehr, Finanzämtern und allgemeiner Verwaltung widerspiegeln. Der Hamburger Senat hat deshalb im Herbst 2006 die Initiative „Wir sind Hamburg! Bist Du dabei?“ gestartet, um verstärkt junge Leute mit besonderer interkultureller Kompetenz für den öffentlichen Dienst zu gewinnen. Ein Beispiel, das auch in anderen Städten Schule machen könnte.

Seit 2006 konnte der Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund in der hamburgischen Verwaltung von rund fünf auf 15 Prozent im Ausbildungsjahrgang 2010 gesteigert werden. Viele von ihnen haben polnische, türkische oder russische Wurzeln – insgesamt sind Menschen aus rund 60 Nationen darunter. Projektleiter Stefan Müller vom „Zentrum für Aus- und Fortbildung“ (ZAF) der Hansestadt ist zuversichtlich, 2011 die Zielmarke von 20 Prozent zu erreichen. „Wir hatten von Jahr zu Jahr Zuwachsraten und wir haben noch Potenzial nach oben“, so Müller. Klarheit darüber werde es aber erst Ende des Jahres geben. Ebenso wie darüber, ob die Kampagne verlängert wird, die sich der Senat jährlich mehr als 100.000 Euro kosten lässt. „Wir gehen davon aus, dass man das Thema mit hoher Intensität weiterverfolgt“, so seine Einschätzung. Da die Stadt nach Bedarf ausbildet, haben alle Auszubildenden eine gute Chance, im Anschluss einen sicheren Arbeitsplatz zu bekommen.

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In der Hansestadt können ausdrücklich auch Menschen mit ausländischem Pass Beamter werden. Zwar wird im Regelfall die deutsche oder eine EU-Staatsangehörigkeit vorausgesetzt. Doch das Hamburger Beamtenrecht lässt Ausnahmen zu – wenn der Bewerber einfach gut ist und gebraucht wird.

Teilhabe
Die Vorteile liegen auf der Hand: Integration funktioniert nur dann, wenn die Menschen, die dauerhaft in Deutschland leben, gleichberechtigt am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben teilnehmen. „Diese Teilhabe wollen wir auch im öffentlichen Dienst sicherstellen“, sagt Projektleiter Müller. In der Praxis bedeutet dies, dass sich die öffentliche Verwaltung mit Hilfe von Menschen mit Migrationshintergrund auch besser auf deren Bedürfnisse einstellen kann. Schließlich verstehen sich Behörden heute als Dienstleister für alle Bürger.

In Sachen Teilhabe geht es dabei nicht nur um die Beseitigung von Sprachbarrieren beispielsweise auf Ämtern, wenn bei Bedarf mal ein Kollege als „Übersetzer“ hinzu gerufen werden kann. Es geht auch darum, bei der Stadtentwicklung oder bei der Planung von Stadteilkonzepten die Belange und Interessen der Betroffenen stärker zu berücksichtigen und so Akzeptanz zu schaffen. „Das ist ein wichtiger Weg, um Barrieren abzubauen“, findet Sujeetha Hermanns, die kurz davor ist, ihr Studium in „Public Management“ abzuschließen und vorher als Fremdsprachenkorrespondentin gearbeitet hat. „Je mehr Menschen integriert werden, desto einfacher wird das Zusammenleben“, meint die 34-Jährige, deren Eltern aus Sri Lanka stammen.

Vielfältige Sprachkompetenz zahlt sich aus
Wie sich ein Migrationshintergrund im Berufsleben positiv bemerkbar machen kann, zeigen diese Beispiele:
Şenol Kahveci hat schon oft Situationen erlebt, wo es gut war, auf seine türkische Muttersprache zurückgreifen zu können. Der 38-Jährige, der seit elf Jahren bei der Hamburger Berufsfeuerwehr arbeitet, berichtet von Landsleuten mit weniger guten Sprachkenntnissen, denen er am Notruftelefon helfen konnte. Was ist zu tun, wenn es brennt, Gas ausströmt oder ein Familienmitglied einen Herzinfarkt erlitten hat? Im Notfall sollte die Einleitung von Hilfsmaßnahmen nicht an Sprachbarrieren scheitern. „Die Menschen fühlen sich geborgener, wenn sie merken, dass jemand ihre Sprache spricht“, sagt Kahveci, der gleichwohl findet, dass Zuwanderer unbedingt Deutsch lernen sollten. Nur geht das vor allem bei Älteren eben nicht immer so schnell. Und wenn es mit der Verständigung mal so gar nicht klappt, sind auch die deutschen Kollegen froh, wenn sie einfach ihren türkischen Kollegen ans Telefon holen können.

Ähnliches berichtet Daniel Ravlić, der seit zwei Jahren bei der Schutzpolizei tätig ist. Der 32-jährige Kroate spricht Kroatisch, Serbisch und Bosnisch. „Das ist definitiv von Vorteil, weil es den beruflichen Ablauf erleichtert“, erzählt er. Wenn sich beispielsweise ein Verdächtiger vom Balkan mit tatsächlichen oder angeblich mangelnden Deutschkenntnissen aus der Affäre zu ziehen versucht, fruchtet das nicht. „Solche Personen merken schnell, dass man damit nicht weiterkommt. Die polizeiliche Maßnahme ändert sich ohnehin nicht, sondern sie würde gegebenenfalls mehr Zeit in Anspruch nehmen“, so Ravlić. Er berichtet, dass nicht nur die Kollegen positiv auf ihn reagiert hätten, sondern auch viele Landsleute auf der Straße. „Da ist auch Stolz, dass einer von ihnen es geschafft hat, bei der Polizei Fuß zu fassen“, sagt er.

Info: Wir sind Hamburg! Bist Du dabei? Informationen für Eltern und Jugendliche sowie Wegweiser zur Aktion gibt es auf hamburg.de.

Passon Habib bestätigt das. Der 24-Jährige kommt aus Afghanistan und wollte schon immer – wie früher sein Vater in seiner Heimat – Karriere bei der Polizei machen. Habib befindet sich noch in der Ausbildung im mittleren Dienst, hat aber erste Revier-Erfahrungen in einem Hamburger Stadtteil gesammelt, in dem viele Migranten wohnen. Dass er nicht nur zwei afghanische Sprachen, sondern mit Urdu eine indische Sprache sowie Russisch, Persisch, Englisch und Deutsch beherrscht, hat sich dabei schon mehrfach als Vorteil herausgestellt. „Das wirkt konfliktentschärfend, weil Menschen gelassener reagieren, wenn man auch ihre Sprache spricht“, berichtet er.

Kontaktängste abbauen
Um die bislang unterrepräsentierten Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund zu erreichen, wird in Hamburg versucht, Jugendliche und auch ihre Eltern mit der Kampagne „Wir sind Hamburg! Bist Du dabei?“ direkt anzusprechen. Denn bislang haben nur 8,9 Prozent der rund 66.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst nicht-deutsche Wurzeln, so das Ergebnis einer Beschäftigtenbefragung in 2008. Geworben wird über das Internet, mit Plakaten in S- und U-Bahnen, auf Ausbildungsmessen, mit Motivationsworkshops und anderem mehr. Voraussetzung für die Bewerber ist, dass sie die mittlere Reife, einen Fachhochschulabschluss oder das Abitur haben. Dann können sie auf eine duale Ausbildung im mittleren Dienst oder auf ein praxisorientiertes Studium im gehobenen Dienst hoffen. Jährlich stehen 500 bis 600 Ausbildungsplätze zur Verfügung. 2010 hatten 1.500 der rund 10.000 Bewerber einen Migrationshintergrund.

Viele junge Leute wissen nicht, dass sie überhaupt eine Chance haben. Dem gebürtigen Iraner Shahin Taghdimi etwa, der seit seinem fünften Lebensjahr in Deutschland lebt und einen iranischen und einen deutschen Pass hat, war gar nicht bewusst, dass für ihn eine Laufbahn beim Finanzamt in Frage kommen könnte. „Ich hatte gedacht, dass es für Ausländer wirklich schwierig wäre, bei der Behörde zu arbeiten“, sagt er. Rein zufällig entdeckte der 26-Jährige, der bereits ein Management-Studium absolviert hatte, bei einer Kfz-Zulassungsstelle ein Faltblatt zur Kampagne und bewarb sich anschließend erfolgreich um ein dreijähriges Studium zum Diplom-Finanzwirt. „In meinem Bekanntenkreis waren viele verwundert, dass gerade jemand mit ausländischen Wurzeln genommen wird“, erinnert sich Taghdimi.

Die Werbung für die Kampagne erfordert allerdings viel Fingerspitzengefühl und ein bisschen gleicht sie auch einem Spagat. Denn es sollen zwar junge Leute mit Migrationshintergrund ermutigt werden, sich zu bewerben, aber die Verantwortlichen wollen rein deutsche Bewerber nicht abschrecken. Eine Bevorzugung der einen oder anderen Gruppe ist ohnehin weder gewollt, noch entspräche sie dem Gleichheits- und dem Leistungsgrundsatz. „Herkunft ist kein Kriterium im Auswahlprozess, wohl aber die Kompetenzen, die mitgebracht werden. Interkulturelle Kompetenzen sind ein Teil der Anforderungen bei diesen Berufsbildern“, erläutert ZAF-Projektleiter Müller und ergänzt: „Wir müssen schon erklären, dass wir niemanden aufgrund einer Quote suchen, sondern weil die Betroffenen besondere Fähigkeiten mitbringen.“

Deutsche Sprache ist nur ein Einstellungskriterium
Entsprechend wurde auch das Auswahlverfahren verändert. Die Bewerber müssen sich in „kulturfairen Tests“ beweisen, wie es Müller formuliert. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass Fragen über Kultur und Religion anderer Nationen in die Auswahlverfahren eingearbeitet wurden, Fähigkeiten wie logisches Denken nicht über sprachliche, sondern figürliche, symbolhafte Aufgaben festgestellt und in Fallstudien interkulturelle Konfliktlösungen entwickelt werden. „Wir versuchen individuell und zugleich objektiv allen Umständen einer Biographie Rechnung zu tragen“, sagt der Projektleiter. Natürlich ist auch die hinreichende Beherrschung der deutschen Sprache wichtig, aber das ist nur ein Baustein der Eignungstests. Ein leichter Akzent oder mal ein falsches Wort ist laut Müller ohnehin kein Problem: „Wir gucken sehr genau auf die Entwicklungspotenziale.“ Junge Leute, die in vielen Bereichen sehr gute Leistungen zeigen, aber vielleicht noch sprachliche Defizite aufweisen, werden gegebenenfalls aufgefordert, sich im Jahr darauf erneut zu bewerben – bei einigen von ihnen klappt es dann im zweiten Anlauf. (hs)