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Bikulturelle Identitäten

Was genau ist Identität, wie entsteht sie und wie wird sie beeinflusst? Womit ist der Begriff Migrant in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden? Und ist es möglich, dass Menschen sich sowohl in der Aufnahme- als auch in der Herkunftskultur sicher bewegen?

Was genau ist Identität, wie entsteht sie und wie wird sie beeinflusst? Psychisch gesehen reift ein Kind durch Identifikation mit den Werten und Normen seiner Eltern und der Umgebung, in die es hineingeboren wird. Seine Identität wird beeinflusst von seinen Beziehungen (z.B. Nachbarn, Schulfreunde, Sportverein, bekannte Vorbilder, Idole aus Musik, Film und Fernsehen, etc.). Das Kind nimmt eine Geschlechterrolle ein, wird geprägt von der Sprache, dem sozioökonomischen Status und dem Beruf der Eltern. Die Herkunftskultur und Religion sind ebenfalls Aspekte der Persönlichkeit. Die unterschiedlichen Erfahrungen während des Heranwachsens werden verarbeitet, sodass ein persönliches Selbstbild und Selbstwertgefühl entsteht.

Neben der Eigenwahrnehmung spielt die Fremdbeurteilung eine wichtige Rolle. In Deutschland ist man eben so fremd, wie man nach vielen Jahren friedlichen Zusammenlebens von der Mehrheitsgesellschaft als Fremder etikettiert wird. Fakt ist doch, dass zwischen den sogenannten Fremden und den Deutschen viele Gemeinsamkeiten und Schnittmengen existieren.

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Wie einige Studien (Bertelsmann) zeigen, unterscheiden sich der Alltag und die Vorstellungen einer türkischen Familie kaum von denen einer deutschen. Alle wollen ein besseres Leben für sich und ihre Kinder. Hinzu kommt, dass Identitäten und Kulturen dynamisch sind und sich fortwährend weiterentwickeln. Leider kann es in der Diaspora dazu kommen, dass Menschen, besonders, wenn sie sich ausgeschlossen und diskriminiert fühlen, sich abkapseln und die eigene Herkunftskultur konservieren.

Herkunftsfremder Deutscher oder Migrant – was ist Zugehörigkeit?
In der Nationalversammlung 1849 wurde eine Grundrechte-Charta in der Frankfurter Paulskirche erstellt, dort hieß es: „Jeder ist ein Deutscher, der auf dem deutschen Gebiet wohnt.“ Erst viel später wurde versucht das Deutschsein über Sprache und über Kultur auch über Deutschlands Grenzen hinaus zu definieren. Deutsch sein war nie so ethnisch gesäubert und „rein“ wie in den Nachkriegsjahren nach der NS-Zeit. Das hat das heutige Bild vom Deutschsein wohl geprägt.

Der Begriff Migrant ist in der öffentlichen Wahrnehmung verbunden mit noch nicht richtig dazugehörend. Ein Migrant ist ein neu Hinzugekommener, der sich die Zugehörigkeit noch verdienen muss. Passend dazu sagen laut der Studienreihe „Deutsche Zustände“ vom Bielefelder Institut für Konflikt und Gewaltforschung (IKG) 54 Prozent der Bevölkerung: „Wer irgendwo neu ist, sollte sich erst mal mit weniger zufriedengeben.“ Wann aber besitzt ein Migrant die gleichen Rechte und darf sich gleich viel erlauben?

Die hier geborenen Kinder von Einwanderern sind allenfalls Herkunftsfremde aber eben bereits Deutsche, zumindest sollten sie sich gleichberechtigt und dazugehörig fühlen. In der Regel stilisiert die hier geborene zweite Generation von Migranten die Herkunftsheimat der Eltern zu ihrer emotionalen Heimat und hält damit einen künstlichen Zufluchtsort aufrecht, besonders wenn sie sich hier nicht zugehörig fühlen. Diese emotionale Heimat kann aufrechterhalten werden, weil dort kein entzaubernder Lebensalltag erfahren wird.

Die fehlende emotionale Verbundenheit mit Deutschland liegt auch an der Mehrheitsgesellschaft, die die herkunftsfremden Deutschen nicht als zugehörig empfindet und sie im Alltagsleben diskriminiert. Über gemeinsame politische Werte wie Demokratie und Meinungsfreiheit hinaus wird eine Anpassung an eine undefinierte deutsche Leitkultur erwartet. Sich mit der Mehrheitsgesellschaft zu identifizieren, setzt aber eine Anerkennung durch diese voraus. Das Entwickeln einer sozialen Kohäsion ist besonders bei Patchwork-Gesellschaften enorm wichtig.

Identitätskrise
Diese jungen MigrantInnen der zweiten Generation wachsen mit zwei unterschiedlichen Kulturen heran, zuhause erleben sie die Herkunftskultur, lernen die Sprache der Eltern und im Berufsleben „draußen“ erleben sie die Aufnahmegesellschaft in der sie vornehmlich „deutsch“ sozialisiert werden. Diese Menschen müssen tagtäglich mit unterschiedlichen Wertvorstellungen leben und sich der jeweiligen Umgebung anpassen, das bewirkt in der Regel eine Vielseitigkeit innerhalb der Person selbst. (Patchwork identity. Bindestrich-Identität wie z.B. Deutsch-Türke).

In der Vergangenheit wurden einige wissenschaftliche Untersuchungen zu der Persönlichkeitsentwicklung dieser sogenannten „hybriden Persönlichkeiten“ durchgeführt. Hierbei war auch die Rede von Identitätsdiffusion oder Identitätskonflikten. Dadurch entstand häufig der Eindruck, dass die jungen Migranten der zweiten Generation in Deutschland überwiegend orientierungslos und in Teilen sogar psychisch erkrankt sind.

Gerade die zweite Generation hat eigene Bedürfnisse und Interessen und möchte diese natürlich nicht gegen die Wertmaßstäbe und Handlungsanforderungen ihrer Familie und Herkunftskultur verwirklichen. So kann es zu einer Krise kommen, wenn individuelle Vorstellungen im Bereich Familie gegen die Wertvorstellungen der Familie durchgesetzt werden. Dies geschieht vor allem bei Vorstellungen von Partnerschaft, Heirat, Geschlechterrollen und Sexualität. Besonders in diesen Lebensbereichen ist das öffentliche Interesse an Veränderungsprozessen bei Migranten groß. Diese Indikatoren sollen den Grad der Integration von Zuwanderern und Zuwanderinnen zeigen. Hier wird ihre Anpassung an die Modellen der Aufnahmegesellschaft gemessen, ohne deren scheinbare Überlegenheit in Frage zu stellen. Gerade junge Migrantinnen gelten als Symbole für Wandel in Migrationsfamilien.

Bikulturelle hybride Persönlichkeiten
Aus Widersprüchen müssen aber keine gebrochenen und kulturell verwirrten (Marginalisation, Assimilation) oder sich aus Überforderung „nur für eine Seite entscheidenden“ Migranten (Segregation) resultieren. Stattdessen entwickeln die Betroffenen besondere interkulturelle Kompetenzen. Sie können sich sowohl in der Aufnahme- als auch in der Herkunftskultur sicher bewegen und auf verschiedene Anforderungen vielseitig reagieren (Integration).

Diese Menschen werden in neueren Untersuchungen als bikulturelle Hybride bezeichnet. Das Entscheidende ist, dass diese Menschen beide Kulturen als gewinnbringende wertvolle Ressourcen ansehen und sich damit in den unterschiedlichen Gesellschaften mit einer eigenen individuellen Patchwork-Identität selbstbewusst behaupten.