Buchtipp zum Wochenende

Der Balkanizer – Ein Jugo in Deutschland

Integration ohne Mutation – humorvoll, mit einer riesigen Portion Komik und Herz, erzählt der Radiomoderator und Musiker Danko Rabrenović seine Integrationsgeschichte, niedergeschrieben von dem freien Journalisten Sebastian Brück.

Trotz der widrigen Umstände, die Rabrenović als „Jugo in Deutschland“ und in seiner ehemaligen Heimat Jugoslawien hinter sich hat, ist das Buch weit mehr als eine reine Immigranten- bzw. Flüchtlingsbiographie. Selbstkritisch und mit kleinen Seitenhieben auf seine ehemaligen Landsleute, schafft es der Sohn einer kroatischen Mutter und eines serbischen Vaters, dass in Deutschland ansässige Ex-Jugoslawen gemeinsam über ihre Macken lachen. Gleichzeitig nimmt er auch deutsche Sitten und Gebräuche ins Visier.

Die Geschichte beginnt 1991 am Flughafen Düsseldorf. Dort landet Rabrenović, weil er nicht kämpfen will und befürchten muss, in Belgrad in die Armee einberufen und an die Front geschickt zu werden. Der Bruderkrieg stellt seine kroatisch-serbischen Wurzeln in Frage und zwingt ihn, sich mit der Geschichte der Jugoslawen auseinander zu setzen: Rabrenović gewährt Einblicke in die Gefühlswelt eines heimatlos gewordenen Jugoslawen, der sich allen nationalistischen Bestrebungen widersetzt und den Deutschen gleichzeitig dauernd erklären muss, ob er einer von „dem bösen Serben oder einer von den nicht ganz so bösen Kroaten“ sei. Seine Lösung: „Ich wollte von all dem nichts mehr hören. Ich war weder Serbe, noch Kroate, ich war Danko Rabrenović, Bürger des Universums. Punkt.“

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Was nicht bedeutet, dass der Jugo in Deutschland seine Herkunft leugnet. Im Gegenteil: Nicht alles war schlecht, was die slawische Kultur zu bieten hat, und so vermischt er das nötige Maß an Herzlichkeit und guten Sitten mit Disziplin und deutscher Gründlichkeit. Die Unsitten beider Kulturen nimmt er auf die Schippe, gleichzeitig führt er vor Augen, wie „Integration ohne Mutation“ funktionieren kann und sich für alle Seiten als lohnenswert herausstellt. Schnell merkt der Neuankömmling, das er in Deutschland trotz der Hilfe seiner Familie in (Sch)Recklinghausen auf sich allein gestellt ist.

Erklären kann er sich das mit der deutschen Mentalität, die nicht lobt und nicht um Hilfe bittet, denn wer in Deutschland lobt und um Hilfe bittet erwartet in aller Regel auch etwas zurück. Im Gegensatz dazu beschreibt Rabrenović die jugoslawische Mentalität als überschwänglich lobend und hilfsbereit, diagnostiziert aber gleichermaßen eine „aufgeblasene Selbstüberschätzung“ und lässt den Macho im Jugo-Mann liebenswert-lächerlich erscheinen: „Wir sind klug, wir sind charmant, wir sind lustig, wir sehen gut aus, wir können alles!“ Rabrenović hebt Unterschiede nicht hervor, um zu trennen. Er zeigt, dass gelebte Integration unfreiwillig komisch sein kann – sogar dann, wenn man mit dem nötigen Abstand und etwas Humor auf den gänzlichen Verlust der Heimat blickt.

Besonders amüsant wird es, wenn der Krieg im Kochtopf landet: So spielt Rabrenović die identitätsstiftenden Spezialitäten der neuen Balkanländer gegeneinander aus: „Die Kroaten hatten überhaupt keinen Bock mehr auf die serbische Bohnensuppe Pasulj. Sie löffelten lieber die kroatische Bohnensuppe Grah – gefurzt haben sie jedoch alle gleich laut und oft.“ Am Ende stellt er fest, dass der Ursprung eines großen Teils der Nationalgerichte entgegen der Meinung vieler Nationalisten nicht auf dem Balkan, sondern bei den Osmanen und im arabischen Raum zu suchen sei.

Einer der Wortwitz-Höhepunkte des Buches ist das Kapitel über deutsch-balkanesische Sprachverwirrungen – angefangen bei alltäglichen Balkan-Schimpfworten, die einem Deutschen nur im Extremfall über die Lippen gehen würden, bis hin zu den gesellschaftlichen Tabus, die sich hinter den unterschiedlichen Lieblingsbeschimpfungen verbergen: „Im Gegensatz zu den analfixierten Deutschen schimpfen die Balkanesen eindeutig genitalfixiert – und zwar gleichberechtigt.“

Wie wichtig es ist, bei der Integration seine Identität nicht zu verlieren, wird in dieser Geschichte, die eine von vielen sein könnte, sehr deutlich. Ohne Vergangenheit kann man die Zukunft nicht gestalten. Erst, wer die Geschichte hinter der Fassade kennt, kann dem anderen freundlich und vorurteilsfrei begegnen. Ein Buch, das gleichsam mit Leichtigkeit unterhält wie zum Nachdenken anregt und auch Menschen, die sich bisher nicht mit dem Balkan und dem Thema Integration beschäftigt haben, absolut gewinnbringende Lektüre verspricht.