Leos Wochenrückblick

Balci, Migrationsland 2011, Ganztagspflicht, Penzberg

Im Wochenrückblick von Leo geht es in dieser Woche um das unsägliche Manifest der beleidigten Muslime - ein Contra zu Balci; Deutschland braucht laut Migrationsbericht 2011 Einwanderung; Ganztags-Kitas und Ganztagsschulen; Moschee Penzberg rehabilitiert.

Von Leo Brux Montag, 18.04.2011, 13:50 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 20.04.2011, 2:06 Uhr Lesedauer: 5 Minuten  |  

1. Das unsägliche Manifest der beleidigten Muslime
betitelt Güner Yasemin Balci ihren Artikel in der WELT über das „Manifest der Vielen“.

Hat sie das Buch gelesen? Das selbe Buch, das auch ich gelesen habe? Sie hat es sicher in der Hand gehalten, mit spitzen Fingern darin geblättert – aber gelesen?

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Von Beleidigtsein konnte ich in dem Buch nichts entdecken. Dass Muslime betroffen sind von der Hetze der letzten Monate, und dass sie sich fragen, was das bedeutet und wie man darauf reagieren könnte – darüber sprechen die Beiträge. Sie tun das nicht einmal wütend, wie Balci meint (weil sie das Buch nicht wirklich gelesen hat), sondern eher nachdenklich, melancholisch.

Balci kann in Deutschland keine Hetze gegen Muslime erkennen. Sie fragt statt dessen: Wo werden denn Migranten in Deutschland diskriminiert?

Das Thema des Buches ist nicht die materielle Diskriminierung, etwa wenn es um die Wohnungssuche und Arbeitssuche, um das Verhältnis der Polizei zu Migranten geht, oder um den Bau von Moscheen. Das Thema ist die symbolische Diskriminierung – der bundesweite Sarrazin-Fanclub versucht, die Muslime aus Deutschland auszugrenzen.

Die über 200 Seiten des Buches sind durch die 29 Autoren wunderbar vielfältig geraten; das Buch ist voller Beispiele, voller Vorschläge, voller kluger Einsichten – und das in 29 verschiedenen Stilen, die alle Deutsch sind, deutsche Kultur atmen.

Ein bedenkenswerter Beitrag stammt von Hatice Akyün. Sie schreibt über ihre Heimat Deutschland/Duisburg/Marxloh – und wie sie die Ausgrenzung erlebt. Sie ist Deutsche, fühlt sich als Deutsche, Deutsch ist ihre Sprache. Aber angesichts der aktuellen Hetze stellt sich bei ihr vage der Gedanke nach der Auswanderung ein.

Dazu Balci – dieser Absatz charakterisiert ihre bösartige Rezension:

Bei manch einem dieser „Vielen“ ist die Erregung so groß, dass sie sogar Auswanderungsgedanken plagen, wie bei der Schriftstellerin und Journalistin Hatice Akyün. Akyün hat ihre Karriere in Deutschland neben ihrer Tätigkeit als Society-Reporterin vor allem ihren ständigen Diskriminierungserfahrungen zu verdanken, die sie gern immer und überall, mündlich wie auch schriftlich, vermarktet.

Hat Balci wirklich so wenig Ahnung von dem, was Migranten aus der Türkei seit 40 Jahren bei uns erleben, dass sie das Gespräch über diese Erfahrungen rein als taktisches Manöver missverstehen kann?

Balci fühlt sich, so scheint es, eher zu Hause in der – ebenfalls sehr deutschen – Kultur des gehässigen Niedermachens von Minderheiten. Imran Ayata schreibt in seinem Beitrag – Balcis Blickwinkel vorwegnehmend – ein paar Absätze über die „Kanakopportunisten“. Der Begriff könnte auf Balci passen. Ich kenne sie nicht näher, aber diesen bösen Eindruck habe ich jedenfalls – nach diesem Schulterschluss mit dem Sarrazin-Klub.

Sozusagen die Rückseite des Themas – oder ist es die Vorderseite? – liefert der Report des Sachverständigenrates für Migration und Integration:

2. Migrationsland 2011.
Die für die aktuelle Debatte zentrale Aussage ist in den beiden ersten „Kernbotschaften“ enthalten:

Deutschland ist Auswanderungsland und verliert dabei vor allem qualifizierte Arbeitskräfte. Deutschland ist nicht attraktiv genug für Fachkräfte – dass sie bleiben, oder dass sie zuwandern. Das wird Jahr für Jahr mehr zu einem Problem, denn die Zahl der Erwerbspersonen wird weiter drastisch schrumpfen durch die zu geringe Geburtenrate, während gleichzeitig die Alten und Rentner immer mehr werden – und finanziert werden müssen.

Im Moment macht sich das noch nicht deutlich bemerkbar: Noch arbeiten die Babyboomer, noch ist die Zahl der Rentner (geburtenschwache Kriegs-Jahrgänge!) relativ gering.

Trotz dieser günstigen Bedingungen

beginnt der umlagebasierte Wohlfahrtsstaat bereits zu straucheln. Aber die Zukunft wird stürmisch sein, wenn das Auge im demografischen Orkan durchschritten ist.

Um dem sich anbahnenden Fachkräftemangel zu begegnen – der schon mittelfristig Millionenhöhe erreichen wird – braucht Deutschland 1. bildungs-, sozial- und arbeitsmarktpolitische Reformen, 2. eine konzeptorientiert gesteuerte Zuwanderung.

Die Stimmung in Deutschland steht beidem entgegen: Man will sich lieber abschotten, man frönt der Xenophobie, man hetzt gegen die Unterschicht. Konstruktive Politik wird dadurch behindert.

Zeigt sich aber nicht doch ein Lichtblick?

3. Ganztags-Kita, Ganztagsschule, verpflichtend
Eine der Maßnahmen, mit denen wir dem kommenden Sturm etwas entgegensetzen können, schlägt Heinz Buschkowsky vor:

Viele Eltern seien heute nicht in der Lage, ihre „Kinder in eine mitteleuropäische Leistungsgesellschaft zu begleiten“.

Der Neuköllner Bezirksbürgermeister forderte deshalb eine Kindergarten- und Ganztagsschulpflicht.

„Es wird ein Leben im Wohlstand ohne Integration der Einwandererkinder nicht mehr geben können“, betonte er.

Nur durch eine ständige Verbesserung von Bildungsangeboten könne man dies jedoch nicht erreichen.

In die gleiche Kerbe haut die aktuelle Bertelsmann-Umfrage.

Große Bedeutung messen die Befragten der frühkindlichen Bildung bei.

Die überwältigende Mehrheit (87 Prozent) spricht sich für einen verbindlichen Kita-Besuch aus.

Die größte Gruppe (41 Prozent) wünscht sich eine Kita-Pflicht für alle Kinder ab drei Jahren.

Lediglich 13 Prozent sind gegen einen verpflichtenden Besuch von Kindergarten oder Kinderkrippe.

Mehr als zwei Drittel aller Teilnehmer plädieren für einen zeitlich späteren schulischen Wechsel auf die weiterführende Schule: Fast jeder Zweite stimmt für den Übergang nach dem sechsten Schuljahr.

Der Ganztagsunterricht (in offener bzw. gebundener Form) stellt für etwa 80 Prozent der Befragungsteilnehmer die bevorzugte Organisationsform von Schule dar.

Nur ein knappes Fünftel ist für die Beibehaltung der Halbtagsschule.

Die Mehrheit der Bürger ist also vielleicht schon bereit zu dieser radikalen Reform. Hat die Politik den Mut, die Aufgabe anzupacken? Fragen Sie Ihren MdL!

4. Islamische Gemeinde Penzberg
Eine erfreuliche Meldung zum Schluss: Die Islamische Gemeinde Penzberg ist (fast) rehabilitiert.

Zwei Pressemeldungen der Gemeinde schildern die aktuelle Lage. Die erste beginnt so:

Gemeinnützigkeit wieder eingeräumt – Finanzbehörden anerkennen die positive Arbeit der Islamischen Gemeinde Penzberg e.V.

Lange mussten die Finanzbehörden der IGP Probleme in Sachen „Gemeinnützigkeit“ machen, weil sie an die Beurteilung des Innenministeriums gebunden waren. Im Innenministerium gibt es aber Personen, die von ihrer negativen Einstellung gegenüber der IGP nicht lassen wollten.

Jetzt hat das Innenministerium gegenüber dem Bayerischen Finanzministerium erklärt, dass der Verdacht gegenüber der IGP, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu unterstützen, nicht mehr aufrecht erhalten wird. Das Finanzministerium hat daraufhin binnen Stunden das Finanzamt Garmisch angewiesen, dem Antrag der IGP auf Wiedereinräumung der Gemeinnützigkeit zu entsprechen.

Die zweite Pressemeldung der IGP beschäftigt sich mit dem „(fast)“ der Rehabilitierung. Penzberg lädt das Innenministerium und den Verfassungsschutz herzlich ein, sich doch einmal vor Ort ein Bild zu machen …

(Umfassend über Penzberg berichte ich auf meinem Blog.) Aktuell Meinung

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