Bestandsaufnahme

Zugewanderte und ihre Nachkommen in Hartz IV

Die im Kontext des in den vergangenen Jahren intensiviert geführten Integrationsdiskurses immer wieder gehörte Aufforderung zur Integration und zum sozialen Aufstieg durch Bildung würde erheblich an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn ...

Von Freitag, 15.04.2011, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.04.2011, 0:51 Uhr Lesedauer: 18 Minuten  |  

Spätestens mit der Veröffentlichung des Mikrozensus 2005 ist deutlich geworden, wie stark die Zusammensetzung der Bevölkerung in der Bundesrepublik durch Zuwanderinnen und Zuwanderer und deren Nachkommen geprägt ist: Jede bzw. jeder Elfte hat einen ausländischen Pass, und sogar noch etwas mehr Personen sind (Spät-)Aussiedler, eingebürgerte Zuwanderer oder deren unmittelbare Nachkommen. Insgesamt haben etwa 20 Prozent der Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshintergrund. 1

Nachdem die Arbeitslosigkeit unter den für konkrete Arbeitsplätze angeworbenen „Gastarbeitern“ in den 1960er Jahren noch niedriger war als unter Herkunftsdeutschen, sind die Arbeitsmarktchancen vieler Zuwanderer und ihrer Nachkommen in Deutschland schon seit langem schlechter als die der übrigen Bevölkerung. Die Arbeitslosenquote der Ausländerinnen und Ausländer erreichte bereits 1982 das Anderthalbfache der Quote für Deutsche und stieg seitdem weiter an. Umso erstaunlicher ist, dass in den Diskussionen um die Reformen der Arbeitsmarktpolitik, wie sie in der Hartz-Kommission und in der Vorbereitung der Hartz-Gesetzgebung geführt wurden, Migrantinnen und Migranten und deren Arbeitsmarktprobleme und -potenziale nicht thematisiert wurden. Das Sozialgesetzbuch (SGB) II als das aus diesem Reformprozess hervorgegangene grundsätzlich neue Gesetzeswerk benennt zwar ausdrücklich Jugendliche, Ältere und Behinderte als besonders zu fördernde Personengruppen und ist dem Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen verpflichtet. Die Dimensionen der Staatsangehörigkeit, regionalen Herkunft oder ethnischen Zugehörigkeit jedoch fanden in diesem Gesetz keine Erwähnung im Zusammenhang mit spezifischen Förderzielen.

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Tatsächlich jedoch hatte die vierte Stufe der Hartz-Reformen, die Ablösung der Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe durch die „Grundsicherung für Arbeitsuchende“, weitreichende Folgen für die Sichtbarkeit der unzureichenden Erwerbsintegration von Migranten. Erstens führte die Zusammenführung der beiden Vorläufer-Systeme dazu, dass die Leistungsbeziehenden aus beiden Systemen nunmehr in einer Kategorie der „erwerbsfähigen Hilfebedürftigen“ zusammengefasst sind, die als „Hilfequote“ in Relation zur entsprechenden Bevölkerung gesetzt werden kann und die bis dahin übliche ausschließliche Betrachtung von Arbeitslosenquoten ergänzt. Zweitens wurden bisher inaktive Partnerinnen und Partner von vormals Arbeitslosenhilfe Beziehenden nunmehr – fortdauernde Bedürftigkeit auch nach den neuen Kriterien der Anrechnung von Einkommen und Vermögen vorausgesetzt – selbst zu Leistungsbeziehenden und damit auch zu Arbeitslosen, sofern von den Grundsicherungsstellen bzw. Jobcentern eine aktuelle Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt unterstellt wurde. Das Gleiche galt drittens – unabhängig von der ihnen in der häuslichen Arbeitsteilung zugeschriebenen Rolle – für bis dahin Sozialhilfe Beziehende, die zu erheblichen Anteilen vor der Reform trotz vorhandener Erwerbsfähigkeit nicht arbeitslos gemeldet waren.

„Im Ergebnis stieg die Arbeitslosenquote von Ausländern 2005 auf mehr als das Doppelte der Quote von Deutschen und hat diesen Verhältniswert seitdem nicht mehr unterschritten.“

Von diesen Änderungen waren Migranten stärker betroffen als Einheimische: zum einen, weil sie sich als „Outsider“ des Arbeitsmarktes zu höheren Anteilen als leistungsbeziehende Einheimische im Bezug von Sozialhilfe statt von Arbeitslosenhilfe befanden und zum anderen, weil unter Migranten traditionelle Rollenmodelle verbreiteter sind und folglich der Anteil der „inaktiven“, bis dahin als Arbeitslose nicht in Erscheinung getretenen Ehefrauen in beiden früheren Leistungssystemen in Migrantenhaushalten höher war. Im Ergebnis stieg die Arbeitslosenquote von Ausländern 2005 auf mehr als das Doppelte der Quote von Deutschen und hat diesen Verhältniswert seitdem nicht mehr unterschritten.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Jahre 2006 eine Untersuchung zur Lebenssituation der Bezieher von Arbeitslosengeld II (ALG II) mit Migrationshintergrund, dem Umgang der Jobcenter mit ihnen sowohl in den lokalen Arbeitsmarktstrategien als auch in der täglichen Beratungspraxis sowie zu den Wirkungen arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen auf diese Personengruppe in Auftrag gegeben. In diesem Beitrag stellen wir ausgewählte Befunde dieser Untersuchung vor. 2

Herkunftsregionen und Hilfequoten
Eine erste zentrale Frage in der Diskussion um die Arbeitsmarktchancen von Zuwanderern und deren Nachkommen ist die Definition von „Migrationshintergrund“. Würde man sich nur auf „Ausländer“ beschränken, also Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, so würden systematisch bestimmte Zuwanderergruppen nicht in die Analyse der Arbeitsmarktchancen von Migranten einbezogen werden, darunter auch Aussiedler und Spätaussiedler, die definitionsgemäß deutsche Staatsbürger sind. Von einem potenziell arbeitsmarktrelevanten Migrationshintergrund gehen wir aus bei (1) Personen ohne deutsche Staatsangehörigkeit (Ausländer), 3 (2) Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die nicht in Deutschland geboren wurden und die mindestens ein Elternteil haben, der ebenfalls nicht in Deutschland geboren wurde (eingebürgerte Zuwanderer) und (3) in Deutschland geborene Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die mindestens ein Elternteil haben, der nicht in Deutschland geboren wurde und bei denen eine andere Sprache als Deutsch „erste“ oder „überwiegende“ Familiensprache ist (Zuwanderer der zweiten Generation mit arbeitsmarktrelevantem Migrationshintergrund). Mit dieser Operationalisierung wird bei Nachkommen von Zuwanderern („zweite Generation“) ein Migrationshintergrund nur dann unterstellt, wenn die Migrationserfahrung der Eltern noch so prägend ist, dass zu Hause nicht überwiegend Deutsch gesprochen wird.

Die Konstruktion des SGB II als Leistungssystem für Erwerbsfähige, die mangels für ihre Bedarfsgemeinschaften existenzsichernder Erwerbsintegration oder mangels eines existenzsichernden Leistungsanspruchs an die Arbeitslosenversicherung hilfebedürftig sind, bringt es – aufgrund der ungünstigeren Positionierung von Migranten auf dem Arbeitsmarkt, der Konzentration ihrer Altersstruktur im Erwerbs- und Jugendalter, ihrer im Vergleich zu Einheimischen größeren Familien und ihrer teilweise traditionelleren Rollenverteilung in der Familie – geradezu zwangsläufig mit sich, dass sich in diesem System Personen mit Migrationshintergrund konzentrieren. Entsprechend liegen sowohl der Ausländeranteil (18 Prozent) als auch der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund im SGB II (28,6 Prozent) deutlich über den jeweiligen Anteilen in der Bevölkerung. In einigen westdeutschen Großstädten dürfte der Anteil der Migranten an allen ALG-II-Beziehern die 50-Prozent-Marke übersteigen. Knapp die Hälfte der SGB-II-Leistungsempfänger mit Migrationshintergrund kommt aus Mittel- und Osteuropa (einschließlich der Sowjetunion bzw. ihrer Nachfolgestaaten und einschließlich der Deutschstämmigen aus diesen Regionen), und es ist diese Herkunftsgruppe – und nicht etwa die türkische – welche die höchste Hilfequote 4 aufweist.

  1. Vgl. Statistisches Bundesamt, Leben in Deutschland. Ergebnisse des Mikrozensus 2005, Wiesbaden 2006.
  2. Für eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse siehe Matthias Knuth (Hrsg.), Arbeitsmarktintegration und Integrationspolitik, Baden-Baden 2010. Für den vollständigen Forschungsbericht siehe IAQ/Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung/Universität Magdeburg u.a., Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrationshintergrund, Berlin 2009, online: www.bmas.de/portal/39960/
  3. Ausländer können ALG II beziehen, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und ihnen die Aufnahme einer Beschäftigung erlaubt ist – und wenn die übrigen Anspruchsvoraussetzungen (Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit) zutreffen. Vgl. Dorothee Frings, Grundsicherung für Arbeitsuchende und Migration: Einschlüsse und Ausschlüsse nach der Staatsangehörigkeit und dem Aufenthaltsstatus, in: M. Knuth (Anm. 2), S. 23-41.
  4. Die Hilfequote drückt den Anteil der SGB-II-Leistungsbezieher an der entsprechenden Bevölkerungsgruppe aus. Sie kann mangels entsprechender Daten für (Spät-)Aussiedler und andere Personen aus Mittel- und Osteuropa nicht getrennt ausgewiesen werden.
Aktuell Meinung

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  1. Miro sagt:

    Diese Studie, oder was immer das sein soll, ist wirklich unfassbar. Wähnt man sich auf der ersten Seite noch auf einem guten Weg, den eine ehrliche Bestandsaufnahme beinhaltet die Aufschlüsselung welche Migrantengruppen wie stark auf Kosten des Staates leben. Nur Seite 2 und 3 machen dann deutlicht was in Wahrheit dahinter steckt.

    „Dies schließt freilich nicht aus, dass eine prozedural gleiche Behandlung unter ungleichen Voraussetzungen zur Benachteiligung, also zur institutionellen Diskriminierung führt.“
    Die GLEICHBEHANDLUNG von allen Hartz4-Empfängern reicht den Verfassern dieses Werkes also nicht mehr aus und führt zu Diskriminierung. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen, Gleichbehandlung führt zu Diskriminierung. :D
    Um konkreter zu werden, die neue gutmenschliche Gleichbehandlungdoktrin zeichnet sich dadurch aus das Ali, der schlecht Deutsch spricht und ohne Abschluß oder Ausbildung Hartz4 bezieht, da die Schule einfach nicht so sein Ding war, nun also bevorzugt werden muss damit wieder Chancengleichheit mit einem anderen Arbeitslosen, der Schulabschluß und Ausbildung hat, herrscht. Es ist übrigens egal ob Ali in der Türkei oder in Deutschland kein Bock auf Schule und Ausbildung hatte. Hier schiebt die Gutmenschenideologie den letzten Funken Selbstverantwortung über die Klippe. Mit solchen Forderungen und Leuten schafft sich Deutschland tatsächlich langsam ab.
    Also ob das nicht schlimm genug wäre, soll das gleiche Prinzip dann auch bei der Einstellung von Jobcentermitarbeitern Anwendung finden, wenn sich also nicht genug Migranten im fairen und offiziellen Bewerbungsverfahren für eine Stelle durchsetzen können, dann müssen sie eben bevorteilt werden, wie Berlin das jüngst eingeführt hat. Und das nennt man dann die neue Chancengleichheit? Unfassbar! Glauben diese Leute tatsächlich das sich die Deutschen und die wettbewerbsfähigen Migranten sowas gefallen lassen? Wenn ich von dieser neuen Benachteiligung betroffen wäre, würde ich sofort vors Bundesverfassungsgericht ziehen.

    „Aufgrund der sprachlichen Verständigungsprobleme ist zu erwarten, dass Migranten weniger aktiviert werden“
    Ach ne wirklich? Vielleicht deswegen weil arbeispolitische Maßnahmen, wie Weiterbildungen etc., auf Deutsch stattfinden und weil man sich vielleicht erhofft das nach diesen Maßnahmen der Weg in die reguläre Arbeitswelt gefunden wird? Wohlmöglich schlägt diese Studie bald vor Unternehmen zu zwingen Arbeitsplätze in Türkisch, Arabisch oder sonst welchen Sprache anzubieten, damit endlch diese Ungleichbehandlung aufhört.
    Die Uni Duisburg-Essen sollte sich ernsthaft überlegen ob sie die hart erarbeiteten Steuergelder der Bürger wirklich für die richtigen Projekte ausgibt.

  2. Manfred O. sagt:

    Nun, im oft so gelobten Dänemark gab es 2009 eine ähnlichte Studie. Ergebnis:

    40% der Sozialleistungen gingen an 5% der Gesamtbevölkerung, nämlich Migranten.

    Folge:

    Dänemark beschloss, die „Türen“ zuzumachen.