„Nourouz“

Ein „Neuer Tag“ beginnt!

Ein iranisches Neujahrsfest ohne Goldfisch? Unvorstellbar! Dieses kleine Tier ist nun einmal Teil der iranischen Neujahrstradition. Auch in Berlin, das inzwischen zu meiner zweiten Heimatstadt geworden ist, ging ich einmal vor vielen Jahren aus diesem Anlass einen Goldfisch kaufen.

Von Forough Hossein Pour Donnerstag, 24.03.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Montag, 28.03.2011, 2:56 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

In einem Kettenkaufhaus in Charlottenburg in der Tierfutter-Abteilung gab es ein Aquarium und ich fragte den Verkäufer nach einem „Goldfisch“! Upps, beinahe ausverkauft. Er sagte: „Sie haben Glück, Sie bekommen meinen letzten Goldfisch!“ An der Kasse wollte er dann doch noch wissen: „Sie brauchen den bestimmt für ihr Neujahrfest, oder?“ Im ersten Moment dachte ich, dass ich mich verhört hätte. Noch nie hatte ein Deutscher mich auf „Nourouz“ angesprochen.

Er sagte: “Sie kommen doch aus dem Iran, oder?“ „Ja, ich komme aus dem Iran, und ja, den Goldfisch bräuchte ich zum Neujahr!“, antwortete ich, immer noch verwundert. Er sagte: “Weiß ich doch, hier in Charlottenburg leben so viele Landsleute von Ihnen. In den letzten Tagen hatten wir hier sozusagen, einen regelrechten Ansturm, und sie alle wollten nur Goldfische. Während er mir den Goldfisch in einer Tüte, die halb mit Wasser gefüllt war, in die Hand drückte, sagte er: “ Na dann wünsche Ihnen alles Gute zum Neuen Jahr.“ Mir kamen vor Freude fast die Tränen, es war so schön, so unerwartet, so aufmerksam und ich fühlte mich plötzlich wie mitten in Teheran.

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Es ist schon seltsam, wie die Zeit vergeht. Als wäre es erst gestern, dass ich als kleines Mädchen anfing, die ersten Blüten meines Kirschbaumes aufzusammeln. Die schönen weißen Blüten, die den Frühling mit sich brachten und damit unser Neujahrfest.

Es ist schon seltsam, wie die Zeit vergeht. Als wäre es erst gestern, dass ich als kleines Mädchen anfing, die ersten Blüten meines Kirschbaumes aufzusammeln. Die schönen weißen Blüten, die den Frühling mit sich brachten und damit unser Neujahrfest.

Damals ginge ich jeden Tag zu meinem Vater und fragte ihn neugierig: „Wann beginnt denn nun unser Neues Jahr?“ Und er sagte mir mit einem Lächeln im Gesicht: “Weißt du was, du bist genau wie die Blüten deines Kirschbaumes ungeduldig. Ihr müsst euch beide noch ein wenig gedulden. Denn erst, wenn die Erde sich einmal komplett um die Sonne gedreht hat, dann kommt auch der Frühling. Diesen „Neuanfang“ kann man auf die Sekunde berechnen. Und wir feiern genau diesen Moment als unseren Jahreswechsel. Also bis dahin musst du noch durchhalten. Und nun geh’ und helfe deiner Mama bei den Vorbereitungen“.

Am vergangenen Montag 21. März um 00:20:50 sec war es wieder so weit. Mitten im März hat der Frühling begonnen: das iranische Neujahrsfest stand an!

Bei uns Iranern sagt man: „Um Nourouz zu empfangen, musst du Dich wie die Natur frisch machen“. Mit dem Frühlingsbeginn gedeiht die Natur und für uns Menschen bedeutet es auch, sich rundum zu erneuern!

Traditionell werden dann vor allem für die Kinder bunte Klamotten gekauft. Aber auch das ganze Haus muss geputzt werden. Der“ Frühjahrsputz“ ist Pflicht. Die Hauswände werden neu gestrichen, die Perser-Teppiche gereinigt und die Fensterscheiben blinken wieder. Im Garten pflanzt man Veilchen in allen möglichen Farben: Lila, Gelb, Orange, Rot!

Im Rausch des „Nourouz“ zog ich mit meiner Mutter durch die Teheraner Straßen. Wir wohnten in einem sehr lebhaften Viertel, mit vielen Geschäften, deren Besitzer mich fast alle gut kannten. Ich blieb vor jedem Laden stehen, weil ich jeden der Besitzer unbedingt zum Neujahr beglückwünschen wollte. Ich winkte Ali Aghaa vom Blumenladen, oder Hossein Aghaa vom Spielzeugladen zu, rief: „Eyd-e shomaa mobaarak“, „schönes Fest“ und sie schenkten mir ein liebevolles Lächeln zurück. Selbst dem sonst mit seinen buschigen Augenbrauen streng aussehenden Joghurt-Händler Aghaa Shayan, der zwar die besten Joghurts in unserem Viertel verkaufte, bei dem ich aber das ganze Jahr über wegen seiner unfreundlichen Art ungern einkaufen ging, wünschte ich alles Gute.

Meine Mutter rief ständig hinter mir her und hatte Angst, mich im Gewühl zu verlieren. Aber mich kümmerte das wenig, ich dachte nur: „Wow, hier ist ja was los, als wäre die ganze Stadt unterwegs.“ Ich war einfach glücklich und saugte mit jedem Atemzug die frische Luft, die sich mit dem Geruch all der Leckereien vermischt hatte, in mich hinein. Ich wedelte mit der Einkaufstasche, die ich unbedingt tragen wollte. Schnell wurde sie gefüllt: mit jeder Menge Süßigkeiten, Pistazien, Nüssen, getrockneten Früchte unserer Lieblingsbäckerei „Pars“, bei der es an diesen Tagen eine besonders lange Warteschlange gab.

Jedes Jahr frage ich mich, wieso eigentlich so viele Menschen hier in Deutschland diese Jahrtausende alte Tradition nicht kennen?“ Ganz Zentralasien – die Afghanen, Iraner, Tadschiken, Usbeken, Aserbaidschaner und Kurden feiern „Nourouz“ als ihr Neujahrsfest! Aber nur wenige hier wissen darüber Bescheid.

Anschließend kehrt man nach Hause zurück und baut eine große Neujahrs-Tafel auf, die Sofreh-Haft-Sin! Eine iranische Neujahrstradition, die noch vom alt-persischen Glauben „Zarathustra“ stammt. Auf die Tafel stellt man sieben Elemente, die in der persischen Sprache den Anfangsbuchstaben „S“ tragen. Jedes Element hat eine besondere Bedeutung: Der Apfel steht für Gesundheit, die Linsensprossen für Vitalität, der Weizen-Pudding für Wohltat und Segen, die Mehlbeere symbolisiert den „Keim des Lebens“, der Gewürzsumach den „Geschmack des Lebens“, der Knoblauch Schutz, und der Essig – ironischerweise – Fröhlichkeit.

Nicht zu vergessen die schön duftende Sonbol (Hyazinthen), ein Symbol für Freundschaft. Damit wären wir zwar bei acht Symbolen, aber das stört keinen. Fast ein bisschen wie hier der Weihnachtsbaum, bleibt die Neujahrs-Tafel eine ganze Weile stehen: 13 Tage lang, denn so lange besuchen wir uns gegenseitig zum „Nourouz“.

Vor allem freue ich mich aber immer auf meinen Goldfisch. Der fängt zwar nicht mit „S“ an, gehört aber unbedingt zur Neujahrstafel und symbolisiert „Glücklichkeit“. Als kleines Mädchen stand ich jedes Mal mit großen Augen vor den dutzenden Becken, die extra am Straßenrand aufgestellt worden waren, damit wir den schönsten „Goldfisch“ aussuchen können. Am liebsten wollte ich sie alle mitnehmen.

Seit 24 Jahren feiere ich nun mein iranisches „Neujahr“ hier in Berlin. Und es ist wahrhaftig kein schönes Gefühl, sich plötzlich mit seinem „Neujahrs- Tradition“ allein zu fühlen. Jedes Jahr frage ich mich, wieso eigentlich so viele Menschen hier in Deutschland diese Jahrtausende alte Tradition nicht kennen?“ Ganz Zentralasien – die Afghanen, Iraner, Tadschiken, Usbeken, Aserbaidschaner und Kurden feiern „Nourouz“ als ihr Neujahrsfest! Aber nur wenige hier wissen darüber Bescheid.

Wie schön wäre es, wenn mir meine Nachbarn, denen ich jedes Jahr zu Weihnachten und Ostern alles Gute wünsche, zum „Nourouz“ gratulieren würden! Dieser gegenseitige Respekt, durch den Begriff „Nourouz“, der wortwörtlich „Neuer Tag“ bedeutet, würde uns allen gut tun, oder? Aktuell Meinung

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  1. Nic sagt:

    Ein schöner Artikel. Danke. Und „Eyd-e shomaa mobaarak“
    Am Sonntag gibt es ein kleines Nouruz-Fest in Berlin:
    http://nicsbloghaus.org/2011/03/23/nouruz-festveranstaltung-am-samstag/

  2. shapour sagt:

    wirklich sehr schöner Artikel, super Erklärt,was unsere Haft-sin bedeutet.
    Wünsche Frau Hosseinpour viel erfolg.

  3. Kurosh sagt:

    Es war fabelhaft,wie Sie Unsere 7 Sin artikuliert haben.
    Hiermit möchte ich mich herzlich bei Ihnen für Ihren Artikel bedanken.
    Eyde shoma ham mobarak.

  4. Leon sagt:

    Ja, ob die Menschen in Deutschland nicht kennen, da bin ich mir nicht ganz sicher. Denn womöglich feiern sie es auch, ohne sich dessen klar zu sein.
    Ostern ist zwar ein christliches Fest, es basiert aber auf einem heidnischen Frühlingsfest, in das alte vorchristliche Traditionen eingeflossen sind.
    Etwa die Osterfeuer, die in vielen deutschen Gegenden entzündet werden und bis in die Bronzezeit ( also 3 500 Jahre) zurück reichen sollen.
    Und die Feuerspringer – wie beim Nourouz – gibt es hier auch.
    Das könnte ja einmal erforscht werden.
    Frohes Fest!

  5. lulla mae sagt:

    mich würde interessieren was mit dem goldfisch gemacht wird,ob er am leben bleibt und was man mit ihm macht,wenn dieses neujahrsfest vorbei ist.

  6. MoBo sagt:

    @ Leon: es gibt tatsächlich einen Zusammenhang, zB gibt es auch im Balkan so Feuertänze, das hat mit indo-europäischen Traditionen zu tun, Persisch und Kurdisch (die feiern das ja auch) sind in derselben Sprachfamilie wie die europäischen Sprachen.

  7. Forough Hossein Pour sagt:

    @ lulla mae: Gute Frage. Wir hatten in unserem Garten ein Wasserbecken und mein Goldfisch kam dann auch nach den „Nourouz“ Feierlichkeiten erst mal in den Becken. Aber zur Tradition gehört auch, dass man ihn wieder der Natur zurück gibt. Bei mir war’s so, dass ich mich jedes Jahr bei unserem ersten Ausflug ins Grüne von meinem Goldfisch verabschiedete, und ließ ihn wieder in See weiterschwimmen.

  8. Boli sagt:

    An die Autorin:
    Erstens mal. Man kann nichts beglückwünschen was man nicht kennt.
    Und zweitens. Wenn ich in den Iran gehen würde. Ich glaube nicht das mir jemand zu Ostern Glückwünsche überbringen würde. Weil….. auch keine religiöse Tradition im Iran. Wenn überhaupt würde mir das vielleicht ein Anhänger einer Untergrundkirche ins Ohr flüstern. Etwas was man in Deutschland nicht müsste sondern laut aussprechen darf. So gesehen finde ich es schon etwas seltsam worüber Sie sich beklagen.