Ein Fremdwoerterbuch

Salz im Kaffee

Es war ein sonniger Tag in Istanbul. Eine junge Frau saß allein in einem Café und blickte auf den Bosporus. Ein schöner Anblick. Das fand auch der junge Mann, der sie beobachtete. Er wollte sie ansprechen. Als er sich zögernd zu ihr setzte, schreckte sie hoch.

Von Freitag, 07.01.2011, 8:28 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 12.01.2011, 0:24 Uhr Lesedauer: 2 Minuten  |  

„Warte!“, bat er. „Trink doch bitte einen Kaffee mit mir.“ Er lächelte sie an. Aufmunternd. Und bestellte Kaffee. Sie schaute zurück. Misstrauisch. Und setzte sich.

Der Kaffee wurde serviert. Der junge Mann war ganz aufgeregt. Sein Herz pochte immer schneller. Ganz benommen und zitternd vor Aufregung nahm er sich den Salzstreuer und füllte seine Tasse mit Salz. Irritiert runzelte die junge Frau die Stirn. „Einen interessanten Geschmack hast du“, bemerkte sie. Verdammt. Salz im Kaffee. Er schämte sich. Wie konnte ihm das passieren?

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„Ich bin am Meer aufgewachsen“, erklärte er in Not. „Ich liebe den salzigen Geschmack des Meeres. Er erinnert mich an die Menschen, die ich liebe.“

Vierzig Jahre später war der junge Mann inzwischen ein alter, kranker Mann. Seine Frau, die junge Frau von damals aus dem Istanbuler Café, kümmerte sich um ihn und pflegte ihn liebevoll. Wie jeden Morgen brachte sie ihm auch heute einen Kaffee ans Bett. Schön salzig, genau so, wie er es mochte.

Er wusste, er würde nicht mehr lange weilen auf dieser Welt. „Verzeih mir, mein Schatz“, sagte der alte Mann und gestand: „Ich mag keinen salzigen Kaffee.“ So erzählte er seiner Frau von damals. Davon, wie er sich schämte und deshalb diese kleine Notlüge erfand. Vierzig Jahre hatte sie ihm deshalb salzigen Kaffee gekocht. Vierzig Jahre hatte er ihn geduldig und still ausgetrunken. „Allein aus Liebe zu dir“, sagte er. Und trank seinen letzten salzigen Kaffee aus.

Oh. Wer verliebt ist, findet diese Liebesgeschichte romantisch und toll. Alle anderen werden bei diesem Kitsch wild den Kopf schütteln. Diese Geschichte ist eine der vielen Legenden, die sich um den salzigen Kaffee der türkischen Mädchen ranken. Wenn ein Mann bei einer türkischen Familie um die Hand ihrer Tochter anhält, muss er nämlich mit salzigem Kaffee rechnen.

Gefällt der Junge dem Mädchen, schüttet es dem zukünftigen Bräutigam kräftig Salz in den reich geschäumten Kaffee und serviert ihn anschließend dem aufgeregt im Wohnzimmer sitzenden Jungen. Er muss dann – als Zeichen der Zuneigung – den Kaffee austrinken. Ohne auch nur ein bisschen das Gesicht zu verziehen. Alle anderen Beteiligten schielen grinsend zum Bräutigam hin und genießen ihren süßen Kaffee.

Vor einigen Wochen habe auch ich einem jungen Mann Salz in den Kaffee gestreut. Ein Teelöffel, um genau zu sein. Er hat den Kaffee schön umgerührt, mutig ausgetrunken und dabei keine Miene verzogen. Ich bin beeindruckt. Diese Woche gebe ich dem besagten jungen Mann mein Jawort. Und bei meiner nächsten Kolumne habe ich deshalb einen anderen Nachnamen.

Bis dahin genieße ich den Brautschutz und werde ganz ungeniert kitschige Liebesgeschichten lesen. 2011 fängt gut an. Aktuell Meinung

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  1. Karl Willemsen sagt:

    @Yilmaz

    „…es wird immer mehr türkisch-deutsche ehen geben…“

    Der Anteil „deutsch-türkischer“ Ehen verhält sich proportional zum Anteil der Türkischstämmigen mit deutscher Staatsangehörigkeit und ist somit eben KEIN Indikator für Multikulti-Ehen, da es sich in der überwältigenden Mehrheit um monokulturelle Ehen (Moslem/Muslima) handelt, wobei einer der Partner nur unwichtigerweise einen deutschen Pass hat!

    Aber gerade auch diese s.g. „deutsch-türkischen Ehen“, die nur etwas über die Staatsangehörigkeit aber nichts über die Religion aussagen, sind ein beliebter statistischer Taschenspielertrick, um das bestehende interkulturelle Beziehungs-Verbot (Muslima/Ungläubige) zu verschleiern, und dreisterweise sogar noch als Indiz für Multikulturalität umzudeuten.