Integration im 16:9 Format

War on Talent, Brain-Waste und New Kids on the Block

Wenn ich schreiben würde, dass die OPEC ihre vorhandenen Ölvorräte an Entwicklungs- und Schwellenländer verschenken wollen, würden sie mich für verrückt erklären.

Von Freitag, 05.11.2010, 8:26 Uhr|zuletzt aktualisiert: Mittwoch, 10.11.2010, 0:50 Uhr Lesedauer: 8 Minuten  |  

Die arabischen Länder sind im Gegensatz zu Deutschland mit reichen Ölvorräten gesegnet. Die Ressourcen, der stark Export abhängigen Bundesrepublik sind aus diesem Grunde ihre Menschen und ihr geistiges Leistungsvermögen. Deshalb ist die Bildung das Fundament und einer der wichtigsten Pfeiler der die Bundesrepublik trägt. Kapital und Vermögen sind zwei Begriffe, die eigentlich in der Finanzwelt beheimatet sind und besonders gerne mit Profitmaximierung verbunden wird. Bei der Aktie Bildung hingegen redet man seit Jahrzehnten von Verlust, von Brain Waste und Brain Drain. Angesichts dessen ist die Behandlung der Bundesrepublik gegenüber seinen wichtigsten Ressourcen fahrlässig.

Nachdem aktuellen Integrationsbericht beläuft sich die Zahl der Schulabbrecher mit Migrationshintergrund auf 15 Prozent und liegt damit doppelt so hoch, wie bei den einheimischen Deutschen mit 6,2 Prozent. Rund 500.000 Akademiker mit Migrationshintergrund, die ihre Bildungsabschlüsse im Ausland erworben haben, wird ihr Diplom in Deutschland nicht anerkannt. Welch Arroganz nimmt sich ein Land, das bei internationalen Bildungsvergleichen regelmäßig hinterste Plätze einnimmt, andere Bildungsabschlüsse als minderwertig zu beurteilen. Und wie steht es im Einklang dazu, seinen Ruf von gestern, ein Land der Dichter und Denker zu sein, weiterhin aufrechterhalten zu wollen. Der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Bildung Vernor Munoz forderte die Bundesregierung bereits im Jahr 2007 dazu auf, das dreigliedrige Schulsystem abzuschaffen, weil sie diskriminierend sei und Chancengerechtigkeit verhindere. Die PISA-Studien unterstreichen Munoz Behauptung. Von der Ungleichheit und Chancenungerechtigkeit sind überproportional Kinder mit Migrationshintergrund betroffen. Im Jahr 2008 lag die Arbeitslosenquote von Migranten mit 12,4 Prozent fast doppelt so hoch, wie bei den Einheimischen mit 6,5 Prozent.

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Industrieverbände fordern die Bundesregierung auf, etwas gegen den Fachkräftemangel zu tun. Der Präsident der DIHK Hans-Heinrich Driftmann schätzt die Zahl des Fachkräftemangels von Ingenieuren, Meistern und Facharbeitern auf rund 400.000, die der deutschen Wirtschaft fehlen. „Integration gelingt vor allem über den Arbeitsmarkt“, resümierte Böhmer in ihrem 8. Bericht über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland und betonte, dass auf Grund des demographischen Wandels, die Migranten die Fachkräfte von Morgen seien. Der Wirtschaftsminister Rainer Brüderle möchte indes mit einem Begrüßungsgeld qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland nach Deutschland locken. Dieses steht im krassen Gegensatz zu den türkischen und koreanischen Akademikern, die Deutschland vermehrt den Rücken kehren, weil ihre Leistung nicht entsprechend gewürdigt wird, ihr Potenzial unausgeschöpft bleibt und sie trotz deutscher Staatsbürgerschaft zum Teil immer noch erhebliche Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt erfahren. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes gab es in den letzten Jahren mehr Auswanderer aus Deutschland als Einwanderer. 2009 wanderten 721.000 Menschen nach Deutschland ein und 734.000 wanderten aus.

Die erste Generation Koreaner in Deutschland löst sich langsam von der Illusion, dass eine höhere Bildung, deutsche Staatsbürgerschaft und Sprachkompetenz genügen um in Deutschland anzukommen. Nun verstehen sie dass „unsere“ Welt, eine ganz andere ist, wie sie es sich vorgestellt haben. In dieser Welt wird das Weiterkommen und der Erfolg eines Menschen nicht daran bemessen, wie qualifiziert, fähig und gebildet einer ist, sondern daran, ob diejenige Person, derselben Abstammung, Rasse, Hautfarbe, Heimat, Herkunft, Glaubens und religiösen Anschauungen zugehörig ist.

Als deutsch-koreanische akademische Elite in Deutschland fühlte man sich auf der sicheren Seite, was das Leben nachdem Studium anbelangte. Job, Arbeit und der soziale Aufstieg, sollten anstandslos folgen. Doch viele qualifizierte Deutsch-Koreaner werden bitter enttäuscht und schaffen die wichtigste von allen Integrationsmaßnahmen auf dem Arbeitsmarkt nicht. Die harte Arbeit, der finanzielle Aufwand, der starke Integrationswille, der deutsche Pass, sowie der Besitz einer höheren Bildung bieten keinen Schutz vor Diskriminierung und Ablehnung. Der Kampf ums Überleben drängt viele Deutsch-Koreaner der zweiten Generation in die Selbstständigkeit, Tätigkeiten anzunehmen, die ihrem hohen Bildungsstand nicht gerecht werden oder sich für eine Arbeit im Land der Eltern bzw. einem in Deutschland ansässiges koreanisches Unternehmen entscheiden um erste berufliche Erfahrungen zu sammeln.

Die im Jahr 2009 verfasste Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung fand heraus, dass die Türken von allen anderen Minderheiten am schlechtesten integriert seien. Vielen entging dabei, dass die Studie den Erfolg der Asiaten in der Integration auf Mischehen mit der einheimischen Bevölkerung zurückführte. Die Botschaft war klar, Mischehen sind der Schlüssel zur Integration. Die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer schwankt zwischen Sprache und Bildung, die für sie die Schlüssel zur Integration darstellen. Der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz und bayrische Staatsminister für Unterricht und Kultus Ludwig Spänle (CSU), forderte Migrantenfamilie auf die Bildung ihrer Kinder zu fördern. Für Spänle sei der schulische Erfolg, der Schlüssel zur Integration in der Mitte der Gesellschaft. Viele Deutsch-Türken und Deutsch-Koreaner sind bereits Besitzer der Sprach- und Bildungsschlüssel, dennoch stehen sie vor verschlossenen Türen, die ihnen den Zutritt zur Mitte der Gesellschaft verwehren. Die OECD-Studie von 2009 bestätigt die Studie von 2007, dass Hochqualifizierte Migranten bei gleich hoher Bildung und Qualifikation, wie Einheimische deutlich schlechtere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben. Der Migrationsexperte der OECD Thomas Liebig spricht von „konsistente Barrieren“ und „statistischer Diskriminierung“, die in der Bundesrepublik weit unterschätzt wird. In Bewerbungsverfahren kommt es nicht selten vor, so der OECD-Experte, dass die Qualifizierung und der Werdegang nicht mehr ausschlaggebend sind, wenn der Name und das Foto des Bewerbers auf einen Migrationshintergrund hinweisen. Nur wer die Möglichkeit bekommt, sein Talent, seine erworbene Bildung und Sprache auf allen Ebenen und Schichten dieser Gesellschaft zur Entfaltung zu bringen wird sich mit diesem Land identifizieren können.

Gerade die Politik kann hier eine Vorbildsfunktion einnehmen. Schließlich wird dort über die Integration am hitzigsten diskutiert. Trotz Bekundung Pro-Integration zu sein, sieht man von der Vielfalt herzlich wenig in politischen Instituten. Der Gesundheitsminister Philip Rösler muss neben seiner Ministertätigkeit repräsentativ für alle Asiaten in Deutschland herhalten, sowie die niedersächsische Integrationsministerin Aygül Özkan und der Grünen Parteivorsitzende Cem Özdemir für alle Türken. Der Bundestag, der wohl demokratischste Ort aller in Deutschland ist äußerst undemokratisch, was das Einstellungsverfahren von wissenschaftlichen Mitarbeitern der Abgeordneten und Parteien anbelangt. Diese Stellen werden kurioserweise nicht öffentlich ausgeschrieben. Hier scheint die Politik in ihrer Vorbildsfunktion zu versagen. Die Politik bleibt immer noch eine geschlossene Gesellschaft für uns, ein Old Boys Network. Im Angesicht dessen wundere ich mich darüber, dass die Politik sich mehr Migranten für den öffentlichen Dienst wünscht. Doch von gehobenem und höherem Dienst wird kein Wort verloren.

Wir sind die Neuen in diesem Land, die New Kids on the Block und aus diesem Grunde bleibt die Politik eine Tabu bzw. No-Touch Zone für uns. Das spiegelt sich auch darin wieder, wenn Landes- oder Bundesregierung über Deutschland sprechen. Dann können wir mit Sicherheit davon ausgehen, dass man nicht über ein Deutschland spricht, wie wir es kennen. Es ist ein Deutschland, das bestenfalls durch das Gleichstellungsgesetz deutsche Frauen und Behinderte dazuzählt, aber keine Afrodeutsche, Deutsch-Türken, Deutsch-Inder und erst recht keine Deutsch-Koreaner.

Wir haben kaum Vorbilder. Mesut Özil, Cherno Jobatey und Fatih Akin können nicht für alle Migranten Vorbild sein und der Politik als Instrument dienen. Bislang haben wir nur uns selbst. Doch mit jeder Konferenz, die wir halten, mit jeder Schule oder Universität, in die wir neu eintreten, mit jedem neuen Job, dem wir nachgehen, schaffen wir neuen Boden. Damit machen wir uns unsere eigenen Vorbilder, egal ob sie nun türkisch, russisch, spanisch oder koreanischstämmig sind.

Meine Eltern konnten mir keine akademischen Vorbilder sein. Dennoch haben sie mir wichtige Dinge fürs Leben beigebracht. Mein Vater hatte mir früh gelehrt, angefangene Projekte immer zu einem guten Ende zu bringen. Meine Mutter brachte mir bei, sich für Dinge einzusetzen, die einen bewegen und Menschen immer so zu begegnen, wie man gerne selbst begegnet werden möchte. Beide hatten den weisen Vorausblick, das wir Kinder eine berufliche Karriere einschlagen sollten, in der man Erfolg, nach einer strikten logischen Abfolge, die man etwa durch mathematische Formeln nachvollziehen bzw. überprüfen kann. Aus diesen Gründen sollte ich eine medizinische Laufbahn einschlagen. Die Medizin ist ein Bereich in der man nach Leistung und nicht Herkunft beurteilt wird und zudem schon sehr früh offen für Multi-Kulti war. Doch mich hat immer die Politik interessiert. Eine Erfahrung mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), die sich für die Interessen der Arbeitnehmer einsetzen, bestärkte mich darin Politik zu studieren. Ich hatte in der Nähe des DGB Gebäudes in Düsseldorf auf dem Bau gearbeitet und wollte dort nach Feierabend mein Gesicht und die Hände waschen. Die Toilette befand sich im Foyer, so dass ich damit keinen gestört hätte. Doch einige Mitarbeiter ordneten dem Pförtner an, mir, den Zutritt zu verweigern. Es war eine gute Erfahrung, die mir gezeigt hat, dass man für seine Interessen selber aufstehen und reden muss. Kein anderer wird es für einen tun.

Gleichwohl habe ich den Traum, dass meine Kinder und deren Enkelkinder, in einer Gesellschaft aufwachsen, wo es selbstverständlich ist, asiatisch auszusehen und „Deutsch“ zu sein. Ich wünsche mir, dass sie es einfacher haben werden in der Gesellschaft anzukommen, aufzusteigen und die Chancengleichheit, keine Floskel im Grundgesetz bleibt sondern wirklich in die Tat umgesetzt wird. Dafür möchte ich mich einsetzen. Ich mache mir Sorgen über die wachsenden Ressentiments gegenüber Fremden. Ich möchte diese Menschen daran erinnern, dass, egal welcher Ethnie wir angehören, Hoffnungen und Träume haben, die sich miteinander berühren, verbinden und uns alle betreffen. Ich mochte schon immer die Worte der Anthropologin Margaret Meads, die sagte „Zweifle nie daran, dass eine kleine Gruppe engagierter Menschen die Welt verändern kann. Tatsächlich ist dies die einzige Art und Weise, in der die Welt jemals verändert wurde“. Ich frage mich, wie wir möglichst viele Menschen davon überzeugen können, an einer gemeinsamen Zukunft zu arbeiten, die bereit sind ein neues, gemeinsames Kapitel in unserer Geschichte aufzuschlagen. Aktuell Meinung

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  1. bogo70 sagt:

    Danke für diesen Beitrag, stellt sich nun doch heraus das die Argumentation, Asiaten seien besser integriert und damit für die Bevölkerung kein Problem, doch nur ein Vorwand ist, den Muslimen mal richtig eine vorgefasste, vorurteilsbeladene Meinung um die Ohren zu hauen.

  2. Fritz sagt:

    Da haben Leute wie die Klitschko-Brüder wahrscheinlich jahrelang an ihrer Promotion gearbeitet, und da wollen die Deutschen solche schwer erworbenen Doktortitlel noch einem Anerkennungsverfahren unterwerfen.
    Gut, daß hier die Mißstände einmal angesprochen werden!