Integration im 16:9 Format

Wulff verpasst historische Chance

Trotz der Bekräftigung „Präsident aller Menschen“ sein zu wollen, verpasst Bundespräsident Wulff mit seiner Einheitsrede, die historische Chance, die Integrationsdebatte, endlich vielfältiger und „weiter“ zu gestalten.

Der Bundespräsident Christian Wulff hat in Bremen, anlässlich des 20jährigen Jubiläums der deutschen Einheit, die erste Grundsatzrede, in seiner noch jungen Amtszeit gehalten. Die erhitzte Integrationsdebatte der letzten Tage, die durch den ehemaligen Bundesbankvorstandsmitglied Thilo Sarrazin und der Jugendrichterin Kirsten Heisig verursacht wurden, ließ erahnen, dass Wulff, der sich lange von der Diskussion fernhielt, eine prominente Rolle zukommen lassen würde. Als damaliger Ministerpräsident Niedersachsens hatte Christian Wulff für Furore gesorgt, indem er die erste türkischstämmige Ministerin Aygül Özkan in sein Kabinett holte. Damit sicherte sich Wulff seinen Platz in den Geschichtsbüchern.

Trotz der Bekräftigung „Präsident aller Menschen“ sein zu wollen und der persönlichen Auffassung, dass die Integrationsdebatte weiter ist, „als es die derzeitige Debatte vermuten lässt“, verpasst Bundespräsident Wulff mit seiner Einheitsrede, die historische Chance, die Integrationsdebatte, endlich vielfältiger und „weiter“ zu gestalten und seinem Wunsch zu entsprechen Präsident aller Menschen in Deutschland zu sein. Somit bleibt die Integrationsfrage weiterhin in einem ausschließlich bilateralen Dialog verharrt, zwischen den einheimischen und den muslimischen Migranten. „Es geht darum, dieses Land zu einem Zuhause zu machen – für alle; sich einzusetzen für gerechte Verhältnisse – für alle. Dieses Land ist unser aller Land, ob aus Ost oder West, Nord oder Süd und egal welcher Herkunft“, betont Wulff dennoch. Doch seine Rede ist von seinen Mitarbeitern des Bundespräsidialamtes so verfasst, dass sie sich ausschließlich an die muslimische Bevölkerung richtet. Dabei zitiert Bundespräsident Wulff Goethe und aus dem Buch der Jugendrichterin Kirsten Heisig und unterstreicht, dass der Islam bereits ein Teil der deutschen Gesellschaft sei und das man von Sozialtransfer lebenden Menschen mit arabisch- und türkischstämmigen Hintergrund erwarte, zumindest ihre Kinder in die Schule zu schicken.

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„In einem Mannschaftssport gilt die Faustregel, dass man nur so stark ist wie das schwächste Glied. Der Integrationserfolg wird sich nicht an der größten Minderheit messen lassen, sondern bei der kleinsten Gruppe.“

Wulff beteuert in seiner Rede, dass man jedem Achtung schenke, „der etwas beiträgt zu unserem Land und seiner Kultur“. So verlangt Wulff „zu Hause zu sein in diesem Land: das heißt, unsere Verfassung und die in ihr festgeschriebenen Werte zu achten und zu schützen: Zuallererst die Würde eines jeden Menschen, die Meinungsfreiheit, die Glaubens- und Gewissensfreiheit, die Gleichberechtigung von Mann und Frau“. Außer der kurzen Bemerkung, dass wir mehr Unternehmen benötigen, die Menschen, ob sie nun Schulze oder Yilmaz heißen, eine Chance geben, verliert Wulff kein weiteres Wort über die Chancengleichheit von Migranten. Nicht nur Schulabbrecher mit Migrationshintergrund sind davon betroffen, sondern auch viele hochqualifizierte Deutsche mit Migrationshintergrund, egal ob sie türkisch oder koreanischstämmig sind. „Wann wird es selbstverständlich sein, dass jemand mit den gleichen Noten die gleichen Aussichten bei einer Bewerbung hat, egal ob er Yilmaz oder Krause oder anders heißt?“, stellte Wulff die Frage in seiner Antrittsrede nach der Vereidigung im Deutschen Bundestag im Juli 2010. So lange das Grundrecht auf Chancengleichheit, die Deutschen mit Migrationshintergrund ausschließt, desto größer wächst ihre Erkenntnis, dass dieses Grundgesetz, nicht ihre sein kann und das Land nicht ihr „einig, Vaterland“ ist.

So wie Bundespräsident Wulff als Ministerpräsident in Niedersachsen mit gutem Beispiel voranging, so kann er diese Einstellungspolitik im Bundespräsidialamt fortführen und qualifizierte Deutsche mit Migrationshintergrund einstellen, mit dem Ziel andere Behörden, seinem Beispiel folgen. Man darf gespannt sein, wann Bundespräsident Wulff sich von den Loyalitätsverstrickungen, die solch ein Amt mit sich bringt, loslöst und sich endlich freischwimmt. Wann wird man in Deutschland begreifen, dass die Integrationsfrage, keine Frage von Muslimen und Einheimischen ist, sondern eine Frage von den vielen anderen, kleineren Gruppen, die in Deutschland leben. In einem Mannschaftssport gilt die Faustregel, dass man nur so stark ist wie das schwächste Glied. Der Integrationserfolg wird sich nicht an der größten Minderheit messen lassen, sondern bei der kleinsten Gruppe.

Zusammen wachsen, eine gemeinsame Zukunft und Geschichte können wir nur dann gemeinsam aufbauen und anfangen zu schreiben, wenn wir Vielfalt als Zukunft begreifen, beginnen für Integration empfänglich zu werden, nicht nur im Kopf und mit Worten, sondern im Herzen, dieser Idee eine wirkliche Chance geben und Instrumente schaffen, die allen Chancengleichheit gewährt. Dann, so wie es Heinrich Hoffmann von Fallersleben in unserer Nationalhymne verewigte, wird dieses, unser Land im Glanze dieses Glückes blühen.