Critical und Incorrect

Die Grenzen wohlmeinender Diskurse – Rassismuskritische Aufklärung auf verlorenem Posten?

„Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint!“. Kann man mit gut gemeintem antirassistischem Diskurs überhaupt Rassismus entegegenwirken? Dr. Sabine Schiffer über die Verneinungsfalle, Thematisierungsfalle, Kategoriesierungsfalle und über die Vorteilsfalle zum Tag der Deutschen Einheit.

Zum Tag der Deutschen Einheit werden wir es vermutlich wieder erleben können – diesmal zum 20sten Mal –, dass in Form von Reden und geschriebenen Texten der gute alte Ost-West-Gegensatz fortgeschrieben wird. Da ist normalerweise von den „Entwicklungen in Ostdeutschland“ die Rede, von „Solidaritätsleistungen des Westens“, von der Notwendigkeit des Zusammenwachsens der „beiden“ Hälften, der „alten“ und der „neuen“ Bundesländer und so weiter und so fort.

Alles richtig! Und sicher gut gemeint, uns am 3. Oktober wieder auf die deutsche Einheit einschwören zu wollen. Nur, haben die verwendeten Worte mehr Trennendes als Verbindendes. Sie schreiben nicht nur den alten Antagonismus zwischen Ost und West fort, sie erinnern auch nach 18 Jahren Einheit an die Zweiheit und schreiben diese dadurch nochmals fest. Und jedes Jahr ein bisschen fester.

___STEADY_PAYWALL___

„Während man über rassistische Argumentationsmuster aufzuklären versucht, wiederholt man diese Rassismen und schreibt damit wiederum den Diskurs fort.“

„Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint!“ 1 Mit diesem Satz überschreibt das Rassismusforscherpaar Riepe seine Beobachtungen, nämlich dass auch ein gut gemeinter antirassistischer Diskurs die oft versteckten rassistischen Denkmuster verrät und die alten Ideen über die jeweils Anderen stets wiederbelebt und damit erneut verfestigt. Diese Erkenntnis entspricht der Beobachtung der Arbeitsgruppe um Christoph Butterwegge und Gudrun Hentges, die in ihrem Buch Massenmedien, Migration und Integration ausführlich beschrieben wird. Auch meine Arbeit zeugt von dem gleichen Dilemma. Während man über rassistische 2 Argumentationsmuster aufzuklären versucht, wiederholt man diese Rassismen und schreibt damit wiederum den Diskurs fort, in dem das WIR und das IHR als Grundunterscheidung jeder Beschreibung zementiert wird – dies bewirkt nicht Integration, sondern stört sie. Denn jede Verneinung ist zunächst eine Wiederholung und erinnert an das, was man zu negieren trachtet. Hier wird die Ordnungsfunktion von Sprache deutlich. Sie strukturiert mit ihren eigenen Regeln das, was wir für wichtig und richtig erachten.

Diesem Dilemma entkommen wir nicht und es ist gut, wenn wir das wissen. Vielleicht wird es uns dann möglich, in reproduzierten Stereotypen einen Wirkmechanismus von sprachlicher Zeigefunktion und menschlicher Wahrnehmung zu sehen – und weniger eine Bestätigung der wiederholten Stereotypen selbst.

Die Verneinungsfalle
Betrachten wir folgende Sätze exemplarisch:

Stimmt alles. Faktisch sind die Äußerungen korrekt. Aber man würde sich unweigerlich die Frage stellen, warum sie überhaupt gesagt werden – eventuell noch, warum sie so gesagt werden. Wir alle unterstellen automatisch, dass das Geäußerte relevant ist – relevant für mich oder zumindest die genannten Elemente relevant füreinander. Verneinen wir auch die Relevanz eines der erwähnten Elemente für den aktualisierten Sachverhalt, so bringen wir dennoch genau den verneinten Aspekt wieder in den Diskurs ein. Wir erinnern daran, wir wiederholen es. Und Wiederholung ist nach wie vor die effektivste Überzeugungsstrategie – und das erfolgreichste Werbemittel.

„Wiederholung ist nach wie vor die effektivste Überzeugungsstrategie.“

Die genannten Beispiele schließen alle an einen Frame/Rahmen an, der im aktuellen gesellschaftlichen Kontext bekannt ist und auch unausgesprochen bestimmte Erwartungen weckt. Während die Sätze gegen dieses Vorgewusste, das Vorurteil, Stellung beziehen, aktualisieren sie genau diese Konzepte und verstärken sie dadurch – sicher oft ungewollt. So können auch wahre Aussagen, wie die oben genannten, den Unterstellungen einer früheren Themenstellung nicht nur nicht entkommen, sondern bedienen diese gar noch.

Kennen wir das nicht aus unserer Kindheit? Da ist eine Schokolade aus der Küche verschwunden und alle Beteuerungen, sie nicht genommen und schon gar nicht gegessen zu haben, werden einfach nicht so recht geglaubt. Wer sich verteidigt, hat schlechte Karten – viel aussichtsreicher scheint da schon die Beschuldigung eines anderen zu sein, also eine gezielte Umlenkung der Aufmerksamkeit weg von mir auf den anderen. In der Tat vollzieht jeder Sprachakt und auch jede bildliche Darstellung ein solches Lenken von Aufmerksamkeit auf einen Gegenstand oder Sachverhalt. Die Folgen dieser Fokussierung lassen sich in ihrer schlimmsten Funktion etwa an der Vorbereitungsphase auf den Irakkrieg im Jahre 2002 ablesen. Auch die Kriegsgegner lenkten ständig Aufmerksamkeit auf den Irak – anstatt andere Krisenregionen zu thematisieren und damit die Fixierung auf den Irak zu durchbrechen, erlag man der gewollten Fokussierung von interessierter Seite. Am Schluss schien es dann vermeintlich logisch um die Entscheidungsfrage zu gehen: Krieg – ja oder nein? Dabei war im Irak nichts anders als in den Jahren zuvor – mit der einzigen Ausnahme, dass soviel darüber geredet wurde.

Die Thematisierungsfalle
Die Auswirkungen von irrelevanten Thematisierungen müssen nicht immer so drastisch sein und schon gar nicht immer so schnell erkennbar. Dennoch gilt es festzustellen, dass jedes Erwähnen seine eigene Relevanz suggeriert. So überrascht es auch nicht, dass es dem herkunftstraumatisierten Sarrazenen gelungen ist, wie vielen vor ihm, die begrenzte Aufmerksamkeit der Medienkonsumenten auf die markierte Gruppe von Migranten und Muslimen zu lenken – und weiterhin weg von vergleichbaren Verhältnissen und vielleicht sogar überhaupt von relevanteren Zusammenhängen. Das medial vergrößerte oder verkleinerte Konstrukt der wenigen überhaupt benannten Themen hat weitreichende Konsequenzen für die Wahrnehmung der Welt um uns herum – strukturiert diese mehr als die Ereignisse selbst.

„In der Tat, das allermeiste, das Selbstverständliche bleibt unausgesprochen.“

In Bezug auf die sogenannte Integration, die angeblich eine mehrseitige Annäherung und gleichwertige Annahme des jeweils Anderen meinen soll, wirkt sich dieser fatale Mechanismus täglich besonders kontraproduktiv aus. Allgemein gilt, dass ja nur das Unerwartete, das „Erwähnenswerte“ ausgesprochen wird. „Über einen Schuh, der nicht drückt, spricht man nicht!“. In der Tat, das allermeiste, das Selbstverständliche bleibt unausgesprochen. Daraus folgt zwangsläufig, dass das Extra-Erwähnen eines Sachverhalts nicht bedeuten kann, dass es sich um die alltägliche Normalität handelt. Betont wird das Unnormale, das Unerwartete, die Ausnahme – das besonders Auffällige. Insofern fallen auch die folgenden Beispiele unter die Rubrik „Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint!“ – sie zeugen von dem Dilemma, in dem wir alle stecken. Eigentlich will man positive Beispiele aufzeigen und das ist notwendig angesichts der üblichen Negativfokussierung „only bad news is good news“. Aber genau durch ein explizites Sichtbarmachen der in ihrer Vielzahl vorhandenen positiven bzw. normalen Beispiele, verstärkt man den Eindruck, dass es angeblich ein grundsätzlich anderes Verhalten bei der angesprochenen Gruppe (z.B. Türken, Aussiedler, Muslime), also ein Problem gebe.

Beispiel für gelungene Integration - Nürnberger Nachrichten vom 20.11.2006

Aussiedler können Leben retten - Nürnberger Nachrichten vom 02.03.2007

Muslime lieben Mozart - TAZ Artikel vom 28.09.2006

Das letzte Beispiel aus der taz zeigt zudem, dass die Betroffenen von dieser Einteilung in WIR und IHR – also die ausgegrenzten IHR – diese Einteilung noch selber bedienen. In diesem Beispiel jedenfalls durch Bekir Alboga, den Sprecher der türkischen Muslim-Organisation Diyanet/Ditib. Zum Auftakt der sog. Islamkonferenz wird er zitiert mit den Worten „Der Durchbruch für einen Dialog zwischen deutscher Gesellschaft und Muslimen ist gelungen.“ Kann es um das Verhältnis von Deutschen und Muslimen gehen? Sind die Deutschen per se alle Nichtmuslime? Oder bedeutet es gar „Muslimsein schließt Deutschsein aus“? Sicher ungewollt wird durch den Wechsel der Kategorien Nationalität und Religion genau letzteres unterstellt. Und diesen ausgrenzenden Mechanismus können wir auch nach wie vor in Bezug auf die Juden beobachten. Immer wieder ist – vermutlich – in gut gemeinter Absicht von dem „Verhältnis von Deutschen und Juden“ die Rede. Das schließt die Juden aus. Das unterstellt, dass Juden nicht die normalen Deutschen seien. Und auch die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, bedient diese Einteilung. Vergleichen wir mit den genannten Beispielen einmal folgenden möglichen Satzteil: „Das Verhältnis von Deutschen und Christen…“ Derlei Gegenproben entlarven zumeist die subtilen Ausgrenzungsmechanismen.

Die offensichtlich tief liegende Erwartung, dass Deutsche nun einmal vornehmlich Christen seien, kann auch die Beschwörung der „jüdisch-christlichen Werte“ nicht reparieren. Immerhin schließt man heute die jüdischen Werte mit ein, die wurden im 19. Jahrhundert noch vehement ausgeschlossen und für undeutsch, ja sogar gefährlich, erklärt. Aber die neue Formulierung scheint sich doch weniger in dem Empfinden niederzuschlagen, dass es nicht nur christliche, sondern mindestens auch jüdische Deutsche gibt, sondern wird vor allem als Abgrenzungsargument gegen „muslimische Deutsche und Nichtdeutsche“ und „islamische Werte“ eingesetzt. Würden wir ehrlich alle Werte anschauen, dann müssten wir deren Ähnlichkeiten zugeben – im Vergleich etwa zu fernöstlichen Denkweisen. Aber die Tendenz, die „eigenen“ Ideen – wohlgemerkt oftmals ohne Überprüfung derer Realisierung – selektiv positiv wahrzunehmen und die davon abzugrenzenden „fremden“ Ideen als selektiv negativ wahrzunehmen scheint stärker. Daraus ergibt sich eine künstliche Konstruktion von Gegensatz und Hierarchie, die durch weitere abgrenzende Formulierungen noch unterstützt wird.

Die Kategorisierungsfalle
Auch folgende Äußerungen schaffen eine künstliche Trennung von Gruppen (z.B. Muslime, Ostdeutsche, Mexikaner, Frauen, Schwarze) und suggerieren, dass die Kategorien Religion, Region/politische Ideologie, Geschlecht oder Hautfarbe relevant seien für das jeweils angesprochene Thema. Das sind sie nicht. Sie verstärken aber trotzdem die üblichen Einteilungen, die wir so in unserem Umfeld gelernt haben vorzunehmen.

„Ist es relevant, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe die US-amerikanische Staatsführung hat?“

Ist es also etwas anderes, wenn ein Muslim ein Attentat verübt, als wenn Nichtmuslime Täter sind? Ist es noch sinnvoll, Deutschland in Ost- und West einzuteilen und nicht in einzelne Regionen, die in ihrer jeweiligen unterschiedlichen Entwicklung unabhängig zu betrachten sind? Warum werden mexikanische Einwanderer besonders betrachtet, wenn es um die Einführung eines Krankenversicherungswesens für die USA geht? Könnte es passieren, dass durch die Ethnisierung der Debatte das Scheitern der Initiative dieser Gruppe angelastet werden wird? Ist es relevant, welches Geschlecht oder welche Hautfarbe die US-amerikanische Staatsführung hat? Eigentlich nicht, aber der Interpretation „eine Frau/ein Schwarzer als Präsident ist etwas ANDERES = Erwähnenswertes“ wird Vorschub geleistet. Der „normale = prototypische“ Präsident ist und bleibt also ein weißer Mann – zumindest in unserer Vorstellung.

Die Vorteilsfalle
Ebenfalls in die Kategorie „Das Gegenteil von gut, ist gut gemeint!“ fällt auch eine wirklich gut gemeinte Argumentationsschiene, die für die Akzeptanz „des anderen“ wirbt: Dieser sei eine Bereicherung – und zwar vor allem im wirtschaftlichen Sinne. Es würde uns also mehr nützen, als kosten, wenn wir ihn bei uns aufnehmen. So klingt häufig der Versuch, den nicht gut Angesehenen zu rehabilitieren. Wieder gilt: Wenn es extra gesagt werden muss, wird es nicht als normal empfunden. Und gleichzeitig gilt: Wer uns nicht nützt, hat hier nichts zu suchen. Solange also der Türke den Döner, der Asiate das Sushi und die Ausländer insgesamt ihre Beiträge zur Rente beisteuern, werden sie geduldet – mehr ist es offenbar nicht. Und es reicht oft ein Gegenbeispiel, um die angelegte Denkschiene in die entgegengesetzte Richtung zu aktivieren. Ein Sozialschmarotzer oder Krimineller mit „Migrationshintergrund“ reicht dann schnell aus, um das Gefühl zu rechtfertigen: „Die sollen doch alle wieder gehen.“ Weil sie uns ja doch mehr schaden als nutzen.

„Unser Existenzrecht ist nur in neoliberalen Frames von unserem wirtschaftlichen Nutzen abhängig und die sollten wir uns aus Gründen der Menschlichkeit nicht aufdrängen lassen.“

Dies ist der angelegte Maßstab und er teilt wieder ein in IHR und WIR, dabei trifft er uns letztlich alle: Dies lässt sich aktuell unter anderem an einer Art Euthanasie-debatte ablesen, die allen Ernstes geführt wird, etwa dann, wenn alte Menschen von „selbstbestimmtem Sterben“ oder „neimandem zur last fallen wollen“ schwadronieren. Oder Kranke und Hartz IV-Betroffene als unnütz und überflüssig tituliert werden und sich selbst empfinden. Das widerspricht den Menschenrechten, Artikel 1, in dem jeder Mensch per se und ohne dafür etwas leisten zu müssen, seine Würde zuerkannt bekommt. Unser Existenzrecht ist nur in neoliberalen Frames von unserem wirtschaftlichen Nutzen abhängig und die sollten wir uns aus Gründen der Menschlichkeit nicht aufdrängen lassen – auch nicht zunächst anhand von markierten Gruppen, die wir als nicht zu uns zugehörig empfinden. Das einmal eingeführte und legitimierte System schlägt immer auf alle durch – wie die oftmals durch Angstmache vor dem Anderen gerechtfertigte sog. Sicherheitsgesetzgebung schließlich auch. Von einer Selbstverständlichkeit des Miteinanders und der Annahme der Gleichwertigkeit aller Menschen sind wir also auch 60 Jahre nach dem faschistischen Nationalsozialismus, der die Menschen in „wert“ und „unwert“ einteilte, noch weit entfernt.

  1. Riepe… Du schwarz, ich weiß.
  2. Menschenrassen gibt es nicht, jedoch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Heitmeyer), die wir hier u.a. mit dem Begriff „rassistisch“ bezeichnen.