Wunderland

Integrationsverweigerer Allee Nr. 10-15

Die Hausnummer 10-15 an der Integrationsverweigerer Allee liegt im Wunderland und gehört ins Reich der Fabelwesen, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Politikers Memet Kilic zeigt.

Es gebe „vielleicht 10 – 15 Prozent wirkliche Integrationsverweigerer“, hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière am 5. September 2010 der ARD gesagt. Seit dem kursieren diese Zahlen in nahezu sämtlichen Medien. Und wie es scheint, ist man froh über die Hausnummer 10-15. Endlich hat man eine Adresse, auf die man mit dem Zeigefinger zeigen kann. Da sind sie! Die sind schuld, die Integrationsverweigerer!

Einen Haken hat die Adresse allerdings, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Memet Kilic jetzt offenbart. Die Hausnummer 10-15 an der Integrationsverweigerer Allee liegt im Wunderland.

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Die 10-15 Prozent-Herleitung
Laut Antwort der Bundesregierung, die dem MiGAZIN vorliegt, hat sich der Bundesinnenminister bei seiner Schätzung auf verschiedene Studien bezogen. So stufe beispielsweise die Untersuchung „Türkischstämmige Migranten in NRW und Deutschland“ des Zentrums für Türkeistudien 13 Prozent als „tendenziell segregiert ein, die parallelgesellschaftliche Strukturen ausbilden“. Merkwürdig ist allerdings, dass Kilic auf etwas hinweisen muss, was die Bundesregierung hätte wissen müssen. Die Verfasser betonen „ausdrücklich“, „dass die Studie nichts über die Motivation der Einwanderer aussagt, sich auf die deutsche Gesellschaft zuzubewegen.“ In der Tat wäre die Schlussfolgerung, Menschen, die einer sog. Parallelgesellschaft leben, seien zugleich auch „Integrationsverweigerer“ äußerst gewagt und ein Schlag unter die Gürtellinie all jener, die sich täglich um bessere Lebensumstände bemühen aber schlicht schlechte Karten haben.

Eine weitere Untersuchung aus dem Jahre 2001 (Türkische Muslime in Deutschland), so die Bundesregierung weiter, stelle zu dem fest, „dass bei 10 Prozent der türkischen Muslime in Deutschland ein Religionsverständnis vorherrscht, das sich integrationshemmend auswirkt“. Diese Tendenz stimme mit den Ergebnissen der von der Deutschen Islam Konferenz in Auftrag gegebenen Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ überein. „Danach nehmen z.B. ca. 10 Prozent der muslimischen Schülerinnen nicht an angebotenen Klassenfahrten teil“. Die Studie „Muslime in Deutschland“ (Brettfeld/Wetzels 2008) gehe sogar von einem Anteil von 23 Prozent der Muslime aus, bei denen Einstellungsmuster bestünden, die zu Segregation tendieren. „Aus diesen Zahlen ergibt sich die“ 10 bis 15 Prozent, so die Bundesregierung.

Aus der Nichtteilnahme an Klassenfahrten gleich „Integrationsverweigerung“ abzuleiten, hält Kilic aber für falsch: „Es ist bekannt, dass viele Eltern durch die Berichterstattung über Kindesmissbrauchsvorfälle sehr irritiert sind. Richtig wäre es, diesen Eltern Vertrauen zuzusprechen, anstatt sie als integrationswillig abzustempeln.“ Auch bedeute ein integrationshemmendes Religionsverständnis nicht gleich Integrationsverweigerung.

Definition für Integrationsverweigerung
Die Hausnummer, die der Bundesinnenminister angibt, entpuppt sich aber vollends als „aus der Luft gegriffen“, wie es Kilic beschreibt, wenn man sich die Definition der Bundesregierung zur „Integrationsverweigerung“ betrachtet. Sie sei „gekennzeichnet durch die Tendenz zur selbstgewählten Abschaltung, die Nichtteilnahme am gesellschaftlichen Leben und an den angebotenen Deutschkursen sowie die Ablehnung des deutschen Staates“. Demnach müssten tendenzielle Segregation, ein Leben in sog. Parallelgesellschaften, ein integrationshemmendes Religionsverständnis oder die Nichtteilnahme an Klassenfahrten zugleich auch Abschaltung, Nichtteilnahme bis hin zur Ablehnung des deutschen Staates bedeuten. Der Dudenverlag würde sich eher abschaffen, als sein Synonymwörterbuch derart auszuweiten.

Als Alice im Wunderland an einer Weggablung ankommt, fragt sie den Hasen, ob sie „rechts oder links gehen“ soll. Da Alice nicht weis, wohin sie will, antwortet der Hase „Dann ist es auch egal, ob du rechts oder links gehst.“ In einer ähnlichen Situation befand sich auch de Maizière. Er war sich nicht sicher, welchen Weg er gehen soll, wusste aber wohin die Wege führen: zu einer vernünftigen Integrationspolitik oder zu den Sarrazinern. Er entschied sich für die Hausnummer 10-15 am rechten Rand von Wunderland – dort, wo der Fantasie keine Grenzen gesetzt sind.