Anonymisierte Bewerbungsverfahren

Bewerbung ohne Namen, Foto und Herkunft

Ab Herbst 2010 wollen das Bundesfamilienministerium und fünf weitere namhafte Firmen ein Jahr lang anonymisierte Bewerbungsverfahren testen. Einer Studie des IZA zufolge werden türkische Bewerber seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.

Fünf Unternehmen sowie das Bundesfamilienministerium werden sich am Pilotprojekt der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) zu anonymisierten Bewerbungsverfahren beteiligen. Die beteiligten Unternehmen werden ein Jahr lang anonymisierte Bewerbungsverfahren testen, also Bewerbungen ohne Foto, Name oder Angaben über Alter, Geschlecht, Herkunft und Familienstand, wie die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, am Dienstag (24. September 2010) in Berlin sagte.

Starten soll der zwölfmonatige Testlauf im Herbst dieses Jahres. Das Pilotprojekt wird während der gesamten Dauer wissenschaftlich begleitet und anschließend ausgewertet. Gestern hatten sich die beteiligten Unternehmen und Institutionen erstmals zum Runden Tisch in der unabhängigen Antidiskriminierungsstelle des Bundes getroffen. Dabei wurde unter anderem eine Expertise des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) vorgestellt, in der internationale Modellprojekte verglichen und Handlungsempfehlungen abgeleitet werden. Das IZA ist der wissenschaftliche Kooperationspartner der ADS bei diesem Projekt.

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Lüders verwies auf eine beim IZA erschienene Studie von 2010, wonach die Angabe eines türkisch klingenden Namens die Chancen auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch für einen Praktikumsplatz verringert – im Durchschnitt um 14 Prozent, bei kleineren Unternehmen sogar um 24 Prozent. Bei der IZA-Untersuchung wurden Bewerbungen für Praktikumsplätze verschickt. „Wir gehen davon aus, dass die Diskriminierungsquote bei Stellenausschreibungen – vor allem im niedrigqualifizierten Bereich – deutlich höher liegt“, sagte Lüders. „Aber es kann nicht sein, dass Bewerberinnen und Bewerber oftmals nur auf Grund ihres Namens oder ihres Alters keine erste Chance erhalten. Entscheidend für die Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber sollte nur die Qualifikation sein. Wir brauchen in Deutschland eine neue Bewerbungskultur.“

Bei den Firmen handelt es sich um die Deutsche Post, die Deutsche Telekom, das Kosmetikunternehmen L´Oréal, den Geschenkdienstleister Mydays und den Konsumgüterkonzern Procter & Gamble.

ADS-Leiterin Lüders betonte: „Wir sind stolz darauf, dass sich fünf große Unternehmen und das Bundesfamilienministerium an unserem Pilotprojekt beteiligen. Es handelt sich um namhafte Firmen und Institutionen, die für die Themen Antidiskriminierung und Chancengleichheit seit langem sehr aufgeschlossen sind. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir mit den Ergebnissen unseres Pilotversuchs weitere Unternehmen von den Vorteilen von Vielfalt und Diskriminierungsfreiheit überzeugen können.“ Lüders fügte hinzu: „Bei unserer Initiative setzen wir auf Überzeugung und Freiwilligkeit. Deshalb verstehe ich die Aufregung in Teilen der Wirtschaft nicht. Uns geht es darum, ein in anderen Ländern schon verbreitetes Verfahren zu testen und anschließend zu bewerten.“

Die Leiterin der ADS trat dem Argument entgegen, dass benachteiligte Bewerberinnen und Bewerber zwar nunmehr eine erste Chance erhielten, Diskriminierung aber lediglich ins Vorstellungsgespräch verschoben werde. „Ein deutscher Personaler oder eine Personalerin verwendet im Durchschnitt 2 bis 4 Minuten für die Durchsicht einer Bewerbung. In dieser frühen Phase wollen wir verhindern, dass eingefahrene Selektionsmuster zum Tragen kommen. Zudem zeigen internationale Erfahrungen, dass sich an anonymisierten Bewerbungen auch Menschen beteiligen, die sich aufgrund von vielen frustrierenden Absagen sonst gar nicht mehr die Mühe gemacht hätten“, sagte Lüders.

Wie die IZA-Expertise deutlich macht, haben Länder wie Schweden, Frankreich, Belgien, die Schweiz und Großbritannien bereits Modellprojekte zu anonymisierten Bewerbungsverfahren begonnen, teilweise sogar abgeschlossen. „Deutschland hinkt bei diesem Thema noch hinterher“, sagte Lüders. Das bundesweite Pilotprojekt der unabhängigen Bundesbehörde soll erstmals praktikable Wege für anonymisierte Bewerbungen in Deutschland erproben.

IZA-Direktor Prof. Dr. Klaus F. Zimmermann empfahl, dafür ein standardisiertes anonymisiertes Bewerbungsformular zu entwerfen, damit das Anonymisieren von herkömmlichen Bewerbungen nicht zu zeitaufwändig wird. Bei Onlinebewerbungen reicht es, die Eingabemaske entsprechend auszurichten.

Wie die Teilnehmer ihre Stellenausschreibungen entsprechend umsetzen, werden sie auf Grundlage der Ergebnisse bis zum Projektstart im Herbst erarbeiten. Das Projekt wird wissenschaftlich evaluiert und begleitet durch das IZA und die Kooperationsstelle Wissenschaft und Arbeitswelt der Europa-Universität Viadrina (KOWA).

Prof. Zimmermann unterstrich: „Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ist auch weiterhin ein verbreitetes Phänomen von erheblichem Ausmaß. Es handelt sich dabei nicht nur um ein gesellschaftspolitisches, sondern auch um ein gesamtwirtschaftliches Kernproblem. Diskriminierung bedeutet einen Verzicht auf wirtschaftliche Effizienz und damit einen Wohlfahrtsverlust. Gerade in Deutschland müssen wir unsere personellen Ressourcen vor dem Hintergrund des wachsenden Fachkräftebedarfs künftig besser ausschöpfen. Anonymisierte Bewerbungsverfahren können dabei helfen, Diskriminierung zumindest in der ersten Stufe des Bewerbungsprozesses zu reduzieren.“

Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, sagte zu dem Projekt der ADS: „Die Bundesagentur für Arbeit begrüßt die Initiative, Bewerbungen zu anonymisieren, um Diskriminierungen zu vermeiden. Denn wir sehen, dass beispielsweise gerade ältere Bewerber immer noch schlechtere Chancen haben, eine Stelle zu finden. Dies ist auch vor dem Hintergrund des aufkommenden Fachkräftemangels nicht akzeptabel. Wir werden daher in unserer Job-Börse die Möglichkeit schaffen, die Übermittlung von Alter und Geschlecht zu verhindern.“ Diese Wahlmöglichkeit soll ab Mitte 2011 technisch verfügbar sein. (mig/ads)