Engin Sakal

Man musste sich durchbeißen

Engin Sakal, 44, kam mit eineinhalb Jahren mit seinen Eltern nach Deutschland. Heute ist er Geschäftsführer von Andorit, einem mittelständischen, international tätigen Unternehmen. Neben seinem Beruf setzt er sich gesellschaftspolitisch dafür ein, dass MigrantInnen in Deutschland mehr Chancen erhalten. Zudem ist Engin Sakal seit 1995 Vorsitzender des Migrationsbeirats der Stadt Paderborn und sitzt im Vorstand der Landesarbeitsgemeinschaft der kommunalen Migrantenvertretungen in NRW Düsseldorf.

Von Dienstag, 02.03.2010, 8:03 Uhr|zuletzt aktualisiert: Dienstag, 19.07.2011, 3:44 Uhr Lesedauer: 6 Minuten  |  

Katharina Ditte: Herr Sakal, welche Stationen haben Sie während Ihrer Schulzeit durchlaufen?

Engin Sakal: Zunächst besuchte ich die Grundschule in der Türkei. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland kam ich dann zunächst einmal auf eine Hauptschule, denn damals herrschte die Einstellung vor, dass man als Gastarbeiterkind nur dorthin kann. Anfangs habe ich versucht, einen Übergang auf die Realschule oder auf das Gymnasium zu schaffen, doch obwohl meine Noten ähnlich waren, wie die meiner deutschen Klassenkameraden, die wechseln durften, entschieden die Lehrer damals, dass ich diese Chance nicht bekommen sollte. Ich habe daher bis zur zehnten Klasse die Hauptschule besucht und bin erst nach dem Abschluss auf das Gymnasium gewechselt. Dort habe ich dann regulär das Abitur gemacht und anschließend Wirtschaftswissenschaften studiert.

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Ditte: Glauben Sie, dass Sie aufgrund Ihrer Herkunft Nachteile hatten?

Sakal: Ja, das war so. Man musste sich damals durchbeißen. So hat man damals den Gastarbeiterkindern empfohlen, statt des Englischunterrichts den Förderunterricht zu besuchen, damit sie besser Deutsch lernen. Hätte ich dies tatsächlich gemacht, dann wäre ich heute nicht da, wo ich bin. Denn das Abitur war ohne Englisch nicht möglich. Ich habe mich damals geweigert, aber viele SchülerInnen sind diesem Rat gefolgt und wurden so für weiterführende Schulen per se gesperrt.

Katharina Ditte studiert „Philosophy & Economics“ an der Universität Bayreuth.

Ditte: Wie veränderte sich Ihre Situation, nachdem Sie auf das Gymnasium wechselten?

Sakal: Als ich auf der Hauptschule war, waren meine Freundschaften zu Deutschen sehr begrenzt. In der Oberstufe änderte sich dies. Ich war damals der einzige in der Oberstufe, der einen türkischen Hintergrund hatte und war wahrscheinlich auch der erste türkische Junge, der das Abitur an dieser Schule bekam. Ich wurde von meinen MitschülerInnen jedoch gleich sehr gut aufgenommen. Auch mein soziales Umfeld änderte sich. Es gab neben mir nur sehr wenige Arbeiterkinder in der Jahrgangsstufe. Die meisten meiner MitschülerInnen waren Kinder von Lehrern, Ärzten, führenden Angestellten und Unternehmern.

Ditte: Wie gingen Sie mit den veränderten Leistungsanforderungen um?

Sakal: Es war am Anfang sehr schwer, vor allem in Hauptfächern wie Englisch und Mathematik. Die LehrerInnen haben jedoch von Anfang an gute Unterstützung geleistet. Sie kannten meinen sozialen Hintergrund, wussten, dass ich von der Hauptschule kam und haben dies auch berücksichtigt. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass ein Deutschlehrer, bei dem ich eigentlich keinen Unterricht hatte, mit mir deutsche Grammatik übte und mir so half meine Ausdrucksfähigkeit zu verbessern.

Ditte: Welche Erinnerungen haben Sie an ihre Studienzeit?

Sakal: Das Lernklima an der Universität war sehr angenehm. Der Leistungsgedanke hat nicht zum übermäßigen Wettbewerb geführt und man hat nicht versucht, sich gegenseitig abzuhängen. Es wurde auch kein Unterschied zwischen Deutschen und Ausländern gemacht. Wir waren als Studierende alle den gleichen Bedingungen ausgesetzt. Häufig haben wir in gemischten Lerngruppen zusammen gearbeitet oder Fußball gespielt. Die Universität war also die Fortführung dessen, was ich in der Oberstufe schon erlebt habe. Interview

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  1. Sinan A. sagt:

    Das Paradoxe an diesem Interview ist: Erst beschreibt Engin Sakal, wie er sich erfolgreich gegen die „Förderung“ in der Grundschule gewehrt hat, und heute? Heute wird er selbst zum Förderer. Natürlich anders, besser, morderner. In Wirklichkeit ist nichts anders, damals wie heute. Der ganze Fördermarkt ist ein boomendes Geschäft. Und die Migranten mischen munter mit, besonders die Türken. Und wieso? Gute Absicht, eigenes finanzielles Interesse oder die Aussicht auf den gesellschaftlichen Aufstieg. Ein bißchen von allem!

    Förderung ist nur gut für die Förderer und für die Kinder, die NICHT gefördert werden. Die geförderten Kinder haben den Stempel weg. Das Erfolgsrezept für die Kinder muss also lauten: Diese ganzen Förderer rechts und links liegen lassen, eigene Wege gehen, Leistung bringen und schauen, wo ein ange

  2. elimu sagt:

    „Stattdessen wird den Eltern meist gesagt, sie sollen mit den Kindern Deutsch sprechen. Dies ist meiner Meinung der falsche Ansatz. Eltern sollten mit ihren Kindern immer die Muttersprache sprechen, damit diese ein gutes Sprachgefühl entwickeln…. “

    Na Gott sei dank heisst Herr Sakal nicht Recep Tayyip Erdogan… :) sonst wären hier ganz andere Kommentare aufgelistet :) :)