Studie

Migranten sind erwerbsmotiviert und besser qualifiziert als in der Berichterstattung dargestellt

Eine im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums in Auftrag gegebene Studie hat die Wirkungen des SGB II auf Migranten untersucht und räumt mit vielen Vorurteilen auf. Migranten sind besser Qualifiziert als gedacht und weisen eine hohe Erwerbsmotivation auf. Die höhere Arbeitslosigkeit hat oftmals andere Ursachen.

Weitere Ergebnisse: Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund leben häufiger in größeren Haushalten mit Kindern als Menschen ohne Migrationshintergrund; dieser Unterschied tritt bei der türkischen Herkunftsgruppe besonders ausgeprägt hervor. Unabhängig vom SGB II-Leistungsbezug haben Migrantenhaushalte im Verhältnis zur Haushaltsgröße deutlich weniger Wohnraum zur Verfügung als Haushalte ohne Migrationshintergrund, zahlen jedoch durchschnittlich etwas mehr Miete pro Quadratmeter. Außerdem verfügen Migranten seltener über Vermögen und Ersparnisse, haben aber auch seltener Schulden als jene ohne Migrationshintergrund.

Zweieinhalb Jahre lang untersuchte ein Forschungskonsortium im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Konsequenzen des SGB II speziell für Personen mit Migrationshintergrund. Herausgearbeitet wurden Potenziale und Hemmnisse im Hinblick auf die Integration in Erwerbsarbeit.

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Laut Studie haben 28 Prozent der erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Deutschland einen Migrationshintergrund – doppelt so wie bei Deutschen ohne Migrationshintergrund. Die meisten von ihnen stammen aus Osteuropa einschließlich GUS-Staaten (28 Prozent) und aus der Türkei (19 Prozent).

Unter- oder überqualifiziert
Im Vergleich zu hilfebedürftigen ohne Migrationshintergrund fällt allerdings auf, dass sie jünger sind und entweder keinen Schulabschluss oder häufiger höhere Schul- und Berufsabschlüsse haben. Migranten „sind nicht so schlecht qualifiziert, wie es in der statistischen Berichterstattung über arbeitslose Ausländer erscheint“, wird in der Studie resümiert. Im Ausland erworbene in Deutschland aber nicht anerkannte berufliche oder akademische Abschlüsse würden in der Statistik weitgehend aber auch in der Vermittlungspraxis als nichtexistent behandelt.

So könnten die meisten Grundsicherungsstellen den Betroffenen bei deren Bestrebungen, ihre beruflichen oder akademischen Abschlüsse anerkennen zu lassen, keine wirksame Unterstützung leisten. „Dadurch werden Akademiker und Facharbeiter mit nicht anerkannten Abschlüssen zu Hilfsarbeitern.“

Große Erwerbsmotivation
Trotz dieser widrigen Umstände steht die „Erwerbsmotivation von Migranten im ALG II-Bezug insgesamt der von Deutschen ohne Migrationshintergrund nicht nach“, heißt es weiter. Migranten zeigten größere räumliche Mobilitätsbereitschaft und akzeptierten ungünstigere Arbeitszeiten. Auch das „Tragen einer bestimmten Kleidung aus religiösen Gründen hat hierbei im Allgemeinen nur untergeordnete Bedeutung“, so die Zusammenfassung der Studie.

Umfangreiches Datenmaterial, Tabellen sowie die vollständige Studie gibt es auf den Seiten des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Download.

Dennoch werden mit Migranten seltener Eingliederungsvereinbarungen abgeschlossen, die zu einer Erwerbsbeschäftigung führen könnten. Auch nehmen Ausländer „signifikant seltener als Deutsche ohne erkennbaren Migrationshintergrund an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen teil“. Für Eingebürgerte und (Spät-)Aussiedler sei dagegen ein derartiger Unterschied nicht festzustellen.

Mit diesen Ergebnissen geht auch eine weitere Erkenntnis einher: Bei den Fragen zur Zufriedenheit sind insbesondere Türken in der Gesamteinschätzung kritischer als andere Befragte. Sie bemängeln nicht nur die Unfreundlichkeit des Fachpersonals, sie fühlen sich auch häufiger „schlechter behandelt als andere“.

Weitere Ergebnisse: Kinder bis 14 Jahre werden in SGB II-Haushalten mit Migrationshintergrund insgesamt ebenso häufig bzw. selten außerfamiliär betreut wie in hilfebedürftigen Haushalten ohne Migrationshintergrund. Bezogen auf Kinder im schulpflichtigen Alter fällt auf, dass der Bedarf an Förderunterricht in Haushalten türkischer Herkunft und aus der „übrigen Welt“ höher angegeben wird als bei SGB II-Haushalten ohne Migrationshintergrund, dass aber eine Förderung bei diesen Gruppen seltener stattfindet.

Türken öfter sanktioniert
Obwohl die Rahmenbedingungen für Migranten ungleich schwieriger sind, berichten Hilfebedürftige mit Migrationshintergrund nicht generell häufiger oder seltener von Sanktionen als Einheimische. Lediglich Personen mit türkischer oder südeuropäischer Herkunft werden deutlich häufiger sanktioniert als Deutsche ohne Migrationshintergrund, (Spät-)Aussiedler/innen und Personen aus Mittel- und Osteuropa dagegen deutlich seltener.

Im Gegensatz zu allen anderen Gruppen, bei denen es oft bei der bloßen Androhung einer Sanktion bleibt, berichten türkische Frauen von nahezu ebenso vielen vollzogenen wie angedrohten Sanktionen.

Interkulturelle Kompetenz
Als eine der möglichen Ursachen für diese Schieflage wird der Anteil von Fachpersonal mit eigenem Migrationshintergrund in den Grundsicherungsstellen aufgeführt. Aufgrund der Angaben in der standardisierten Trägerbefragung sei davon auszugehen, dass er mit ca. 3 Prozent weit unterproportional zum entsprechenden Anteil in der Bevölkerung ist. „Die anlässlich des Nationalen Integrationsplans von der Bundesagentur für Arbeit formulierte Diversity-Strategie ist in den ARGEn weitgehend unbekannt geblieben“, so das Fazit. Auch belegten Weiterbildungen des Fachpersonals zur Aneignung von „interkultureller Kompetenz“ in der Rangliste untere Plätze.

Infolgedessen werde die Überwindung der Sprachbarriere überwiegend von den Betroffenen selbst erwartet. Die Fachkräfte würden sogar überwiegend davon ausgehen, dass der „Amtssprachengrundsatz“ es ihnen verbiete, etwa vorhandene eigene Fremdsprachenkenntnisse einzusetzen.