Kleine Anfrage

Verhindert der türkische Militärdienst die Integration in Deutschland?

In einer parlamentarischen Anfrage an die Bundesregierung ((Drucksache 16/13532)) wollte die Linksfraktion von der Bundesregierung wissen, ob durch die Ableistung des türkischen Wehrdienstpflichts für türkische Staatsbürger in Deutschland Integrationshemmnisse verursacht werden.

Mittwoch, 08.07.2009, 6:44 Uhr|zuletzt aktualisiert: Samstag, 21.08.2010, 2:48 Uhr Lesedauer: 4 Minuten  |  

Die Linksfraktion stütze die Anfrage auf den Umstand, dass in der Türkei für alle Männer ab dem 20. Lebensjahr ohne Altersgrenze Wehrdienstpflicht zwischen acht und 15 Monaten besteht. Es gibt weder das Recht auf Kriegsdienstverweigerung noch einen zivilen Ersatzdienst. Für dauerhaft als Arbeitsmigranten im Ausland lebende türkische Staatsbürger, nicht aber für Studierende, gibt es die Möglichkeit einer finanziellen Ersatzleistung vom türkischen Militärdienst. Die Ersatzleistung beträgt 5 112,92 Euro und erhöht sich nach Überschreiten der Altersgrenze von 38 Jahren auf 7 668 Euro sowie bei über 40jährigen auf 10 000 Euro. Zusätzlich zur Zahlung der Ersatzzahlung muss ein dreiwöchiger Militärdienst abgeleistet werden.

Die Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft sei laut Linksfraktion für viele in der Bundesrepublik lebende türkische Staatsbürger eine Möglichkeit, dem türkischen Militärdienst zu entkommen. „Voraussetzung für eine Einbürgerung ist nach deutschem Recht die vorige Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft. Ohne geleisteten Wehrdienst oder Freikauf wird dies von den türkischen Behörden bei Betroffenen ab Mitte 30 allerdings häufig verweigert“, so die Linke.

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Zudem werde über 38-jährigen Auslandstürken ohne Ableistung des Wehrdienstes oder finanzielle Ersatzleistung eine konsularische Verlängerung ihrer Pässe verweigert. Bei der gleichzeitigen Weigerung deutscher Behörden, ihnen die deutsche Staatsbürgerschaft zu geben, würden sie so in Deutschland in die Illegalität mit allen sozialen und beruflichen Folgen gedrängt.

Erhebliches Integrationshindernis
Die türkische Wehrdienstpflicht für Auslandstürken sei nach Ansicht der Linksfraktion ebenso wie der Umgang deutscher Behörden mit den staatsbürgerschaftlichen Folgen für die Betroffenen ein erhebliches Integrationshindernis für in Deutschland lebende und einbürgerungswillige türkische Staatsbürger.

Daher wollten die Fragensteller von der Bundesregierung wissen, ob sie die Verweigerung einer Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft vor Ableistung des türkischen Wehrdienstes beziehungsweise Freikaufs durch finanzielle Ersatzleistung als „Kopfgelderpressung“ einschätze. Außerdem wollten die Fragesteller wissen, ob die Bundesregierung es für gerechtfertigt hält, einbürgerungswilligen türkischen Staatsbürgern die deutsche Staatsbürgerschaft unter Verweis auf die bestehende türkische Staatsbürgerschaft zu verweigern, wenn diese Personen nur aufgrund der türkischen Wehrpflichtregelungen nicht aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen werden.

Die Antworten der Bundesregierung
Das StAG, so die Bundesregierung, sehe für derartige Fälle Ausnahmen vor. Diese würden unter anderem greifen, wenn der ausländische Staat die Entlassung aus siener Staatsangehörigkeit von unzumutbaren Bedingungen abhängig mache. Dazu gehöre auch die vorherige Erfüllung der Wehrpflicht im Herkunftsstaat. Dies könne der Fall sein, wenn Einbürgerungsbewerber bereits in der zweiten oder einer weiteren Generation in Deutschland lebten. Auch ein Freikauf vom Wehrdienst durch Zahlung einer Geldsumme an den Herkunftsstaat sei dieser Gruppe generell nicht mehr zuzumuten. 1

„Eine Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit ist allerdings in der Regel ohne Wehrdienstleistung in der Türkei oder die Zahlung einer entsrpechenden Freikaufssumme möglich. Voraussetzung für die Entlassung ist lediglich eine ordnungsgemäße Zurückstellung vom Wehrdienst, die nach den bisherigen Erfahrungen regelmäßig vorgenommen wird.“, so die Bundesregierung.

Im Übrigen könnten Ausländern, die von ihrem Herkunftsstaat wegen Nichterfüllung der dortigen Wehrpflicht keinen Pass erlangen können, ein Reiseausweis für Ausländer ausgestellt werden, wenn für sie die Erfüllung der Wehrpflicht in ihrem Herkunftsstaat aus zwingenden Gründen unzumutbar sei.

Asyl und erleichterte Einbürgerungen für Kriegsdienstverweigerer
Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion begrüßte, dass die Bundesregierung zumindest bei Einbürgerungsbewerbern, die in zweiter oder einer weiteren Generation in Deutschland leben, den Freikauf vom Wehrdienst für generell nicht mehr zumutbar hält. Ebenfalls sei es begrüßenswert, dass die Bundesregierung eine Einbürgerung auch dann ermöglichen will, wenn eine vorherige Entlassung aus der bestehenden Staatsbürgerschaft an „unzumutbare Bedingungen“ wie die „vorherige Erfüllung der Wehrpflicht im Herkunftsstaat“ gebunden sei.

„Ich erwarte allerdings weiterhin von der Bundesregierung, dass sie sich bei der türkischen Regierung für eine generelle Abschaffung der Kriegsdienstpflicht für türkische Staatsbürger in Deutschland einsetzt. Kriegsgegnern und Deserteuren aus der Türkei muss Asyl und eine erleichterte Einbürgerung ermöglicht werden, da es in der Türkei weder das Recht auf Kriegsdienstverweigerung noch einen zivilen Ersatzdienst gibt.“, so Jelpke.

  1. Vorläufige Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern vom 17. April 2009, 12.1.2.3.2.2
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